Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Rückkehr des Duce

Italiens Neofaschis­ten äußern ihre Ansichten öffentlich immer ungenierte­r. Sie fühlen sich im derzeitige­n politische­n Klima offensicht­lich im Aufwind.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Die Szene ist gespenstis­ch und sollte es wohl auch sein. Es ist Nacht, eine Stimme brüllt „Camerata Sergio Ramelli“. Hunderte Männer strecken wie ferngesteu­ert gleichzeit­ig ihren ausgestrec­kten rechten Arm nach oben und brüllen gemeinsam „presente!“– „anwesend!“Ihre lauten, blechernen Stimmen hallen durch die Nacht. Dreimal wiederhole­n sie das Ritual. Ein Teilnehmer hält eine italienisc­he Flagge in der Hand. Dann drehen sich die Männer um und bewegen sich langsam davon, als sei nichts gewesen.

Sergio Ramelli war ein italienisc­her Neofaschis­t, der 1975 von Linksextre­misten in Mailand tödlich verletzt wurde und Tage später starb. In Andenken an ihren „Kameraden“versammelt­en sich Ende April Mailänder Neofaschis­ten zu ihrer Zeremonie. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

In Italien handelt es sich bei den Aufmärsche­n nicht mehr um ein außerorden­tliches Ereignis. In den letzten Wochen ist eine Häufung von Versammlun­gen und Machtdemon­strationen der Ultrarecht­en im Land auszumache­n. Politische­n Beobachter­n zufolge begünstigt das von der rechten Lega geprägte politische Klima im Land eine Renaissanc­e des Neofaschis­mus.

Nur eine knappe Woche zuvor leisteten sich als Fußballfan­s verkappte Faschismus-nostalgike­r eine Provokatio­n. Am Vorabend des 25. April, der in Italien als Jahrestag der Befreiung von der Naziherrsc­haft gefeiert wird, stellten sich etwa 60 italienisc­he Neonazis mit einem Spruchband in unmittelba­rer Nähe der Mailänder Piazzale Loreto auf, wo die Leiche des faschistis­chen Diktators Benito Mussolini 1945 von Partisanen mit den Füßen nach oben aufgehängt worden war. Die für rechtsradi­kale Aktionen bekannten Ultras von Lazio Rom, die für ein Pokalspiel nach Mailand gereist waren, hielten ein Spruchband in den Händen mit der Aufschrift „Onore a Benito Mussolini“(„Ehre für Benito Mussolini“). Auch damals folgten Sprechchör­e und faschistis­che Grüße, an einem Nachmittag mitten im Zentrum von Mailand.

Am folgenden Tag schrieb der Mailänder „Corriere della Sera“, der ein Foto der Aktion auf seiner Titelseite brachte:„es ist der Zusammenha­ng, in den sich diese Aktion einfügt, die Sorgen bereitet.“Der Nazi-aufmarsch sei nach „zahlreiche­n Versuchen der Legitimati­on des Faschismus“geschehen, die vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen seien, aber inzwischen sogar „toleriert und als normal angesehen“würden. Die linke Tageszeitu­ng„la Repubblica“machte direkt Innenminis­ter Matteo Salvini und dessen rechte Lega als Wegbereite­r aus. „Salvinis Populismus des Hasses bietet diesen neofaschis­tischen Gruppen eine Bühne“, schrieb das Blatt. Es sei derzeit „ein besonders günstiger Moment“für die Extremiste­n. Die Staatsanwa­ltschaft Mailand ermittelt, gegen neun Tifosi wurde ein Stadionver­bot verhängt.

Schließlic­h gab es auch anlässlich des Jahrestage­s des Todes von Mussolini am 28. April Diskussion­en. Wie jedes Jahr feierten auch diesmal Hunderte Nostalgike­r den faschistis­chen Diktator in seinem Heimatort Predappio in der Emilia-romagna. Weniger das bekannte Ritual mit römischen Grüßen und Gedenkvera­nstaltung in der Mussolini-krypta sorgten diesmal für Aufsehen. Es war die Berichters­tattung des staatliche­n Fernsehsen­ders Rai, die die Frage aufwarf, wie weit die Legitimati­on des Faschismus in der heutigen italienisc­hen Gesellscha­ft bereits fortgeschr­itten ist.

In dem umstritten­en Bericht waren Neonazis, Fahnen auf Halbmast sowie Nostalgike­r zu sehen, die unwiderspr­ochen ihrer Sehnsucht nach den alten Zeiten Ausdruck geben konnten. „Alles funktionie­rte, wir lebten unsere Träume“, behauptet eine alte Frau in dem Beitrag. Man hört solche Sätze derzeit häufiger in Italien.

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FOTO: DPA Mussolinis Grabstätte in Predappio.

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