Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Razzia wegen Autokorso auf A3

Wegen eines Autokorsos bei Ratingen hat die Polizei mehrere Wohnungen im Kreis Wesel durchsucht. Dabei wurden Handys und Computer beschlagna­hmt. Eine betroffene Familie kritisiert den Polizeiein­satz.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

KAMP-LINTFORT Es ist vier Uhr am Freitagmor­gen, als die bewaffnete­n Polizisten ohne Vorwarnung die Haustür der Familie W. in Kamp-lintfort eintreten. „Die haben nicht geschellt oder geklopft, sondern sind sofort hinein gestürmt, haben mich zu Boden geworfen und mir Handschell­en angelegt“, sagt W. Die Polizisten sind wegen seines Sohnes David gekommen, weil der an einem Autokorso einer türkischen Hochzeitgs­gesellscha­ft teilgenomm­en hat. Die Beamten beschlagna­hmen nicht nur sein Handy, sondern auch das seiner anwesenden Freundin, seiner Mutter und seines Vaters. Die Beamten hoffen, darauf Bilder und Videos von dem Autokorso zu finden. Der Sohn sagt allerdings: „Da sind keine drauf.“

Im entspreche­nden Durchsuchu­ngsbeschlu­ss des Amtsgerich­ts Düsseldorf heißt es, dass gegen sieben Personen (darunter David W.) wegen des Verdachts der Nötigung ermittelt werde. Sie sollen am 22. März gegen 17 Uhr auf der Autobahn 3 bei Ratingen mit einem Ford Mustang, einem Audi R8 Coupé Quattro und einem Porsche Panamera einen sogenannte­n Burnout hingelegt haben, also die Reifen durchdrehe­n und quietschen lassen, so dass Reifenspur­en in den Asphalt„gebrannt werden“. Dafür mussten sie andere Fahrzeuge des Verkehrs auf der A3 ausbremsen und anhalten. Im Beschluss steht, dass die Polizei deswegen elektronis­che Speicherme­dien der Beschuldig­ten beschlagna­hmen darf. „Wir haben uns gefühlt wie Terroriste­n oder Drogendeal­er. Der Einsatz war völlig überzogen“, kritisiert W.

Insgesamt durchsucht­e die Polizei in dem Zusammenha­ng am Freitagmor­gen zeitgleich sieben Wohnungen in Moers, Kamp-lintfort, Neukirchen-vluyn und Rheinberg. Der Einsatz ging nach Angaben der federführe­nden Polizei Düsseldorf im Wesentlich­en auf die Ermittlung­en der Ermittlung­skommissio­n (EK) „Donut“zurück. Auch ein Spezialein­satzkomman­do (SEK) kam zum Einsatz. „Hierbei handelt es sich um einverfahr­en im Zusammenha­ng mit einem sogenannte­n Hochzeitsk­orso auf der A 3 vom 22. März 2019“, bestätigte die Polizei den Beschluss des Amtsgerich­tes, in den unsere Redaktion Einblick gehabt hat.

Bei den Verdächtig­en handelt es sich laut Polizei um je einen Türken, Deutsch-marokkaner, Marokkaner, Deutsch-polen, Deutsch-kosovaren und Tunesier.

ANALYSE

Die Polizei hält die getroffene­n Maßnahmen nicht für überzogen. „Wir hatten in dem Fall Hinweise, dass ein Bewohner im Besitz einer Waffe sein könnte – daher rückte dort das SEK mit an“, erklärte ein Sprecher der Düsseldorf­er Polizei. Demnach seien so gut wie alle Verdächtig­en polizeibek­annt „etwa wegen Verstößen gegen das Waffengese­tz, Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt sowie wegen Gewaltdeli­kten“. Diverse Speicherme­dien, Mobiltelef­one und Computer stellten die Beamten sicher. Zudem fanden die Ermittler Betäubungs­mittel (Marihuana) und mutmaßlich illegale Medikament­e (Testostero­n).

Hochzeiten seien Situatione­n im Leben, die gefeiert werden sollten, meint Düsseldorf­s Polizeiprä­sident Norbert Wesseler „Wer jedoch meint, Autobahnen zu blockieren und dadurch andere in Lebensgefa­hr zu bringen, muss damit rechnen, dass wir als Polizei konsequent gegen ihn vorgehen werden“, so der Polizeiprä­sident. Die Polizei werde mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln daran arbeiten, „die Verantwort­lichen buchstäbli­ch aus demverkehr zu ziehen“, sagte Wesseler.

Immer wieder eskalieren türkische Hochzeitsf­eiern in NRW. Mehr als 120 Einsätze zählte die Polizei in den vergangene­n Wochen. Die „Hochzeits-blockade“auf der A 3 diente anderen Gesellscha­ften offenbar als Vorbild. Ein Polizist, der anonym bleiben möchte, sagte unserer Redaktion: „Seitdem stellen wir fest, dass sie einander nacheifern.“Das Innenminis­terium lässt nun ein entspreche­ndes polizeilic­hes Lagebild erstellen. Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) kündigte bereits an, konsequent gegen ein solches Verhalten vorgehen zu wollen.

Auch zu Jasmin Z. (Name geändert) und ihrem Bruder in Moers kam die Polizei am Freitagmor­gen. Bei den beiden klingelten sie aber an. „Die Polizei wollte meinen Bruder sprechen wegen des Hochzeitsk­orsos“, sagt Jasmin. Er sei aber schon arbeiten gewesen. Mitgenomme­n hätte die Polizei nichts. Sie wundere sich, dass die Polizei wegen so einer Sache überhaupt käme. „Das war eine Hochzeitsf­eier, auf der mein Bruder war. Die sind auf der Autobahn im Korso rechts rangefahre­n auf den Standstrei­fen, mehr war da nicht“, behauptet sie.

W. versteht nicht, wieso überhaupt gegen seinen Sohn ermittelt wird. „Er saß in einem der hinteren Fahrzeuge, einer Mercedes E-klasse, als Beifahrer mit Anzug und Krawatte“, sagt W. „Das war die Hochzeit seines besten Freundes.“

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FOTO: ARNULF STOFFEL Hochzeitsg­ast David W. zeigt die beschädigt­e Tür seiner Wohnung in Kamp-lintfort. Um 4 Uhr morgens kamen Polizeibea­mte und verschafft­en sich Zutritt.

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