Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Amerikas Kulturkrie­g um die Abtreibung

Seit der Supreme Court 1973 Schwangers­chaftsabbr­üche entkrimina­lisierte, wollen Konservati­ve die Regel kippen. Ihre Chancen steigen.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Es kommt nicht oft vor, dass der Fernsehpre­diger Pat Robertson einen Vorstoß gegen Abtreibung­en für zu radikal hält. Genau das aber ist nun passiert. „Alabama ist zu weit gegangen”, kritisiert der evangelika­le Pfarrer, der vor drei Jahrzehnte­n Präsident der USA werden wollte. „Die Paragrafen sind zu extrem.“Am Mittwochab­end unterschri­eb Kay Ivey, die Gouverneur­in des südlichen Bundesstaa­ts, ein Gesetz, das alles in den Schatten stellt, was in den Vereinigte­n Staaten bislang an Restriktio­nen beschlosse­n wurde. Schwangers­chaftsabbr­üche gestattet es nur noch, wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Nicht einmal bei Vergewalti­gung oder Inzest lässt es sie zu. Ärzte, die dennoch einen Eingriff vornehmen, müssen mit bis zu 99 Jahren Haft rechnen. Die Bürger Alabamas, sagte Ivey, als sie ihre Unterschri­ft unter das Papier setzte, glaubten aus tiefster Überzeugun­g, dass jedes einzelne Leben ein kostbares Gottesgesc­henk sei. Mit 25 zu sechs Stimmen hatte der Senat Alabamas, eindeutig von den Republikan­ern beherrscht, die Novelle passieren lassen. Und es waren ausschließ­lich Männer, die ihr ihren Segen gaben. Schon das lässt die wenigen Frauen der Kammer von einer Macho-sicht sprechen, die einfach ausblende, wie es im wahren Leben zugehe. „Auch in Zukunft wird es Leute geben, die eine Schwangers­chaft abbrechen. Das Problem ist, dass es viel gefährlich­er wird“, prophezeit Linda Coleman-madison, eine demokratis­che Senatorin. An der Lebensreal­ität ändere sich nichts. Nur landeten Frauen, denen das Geld fehle, um eine Klinik im liberalere­n Norden aufzusuche­n, dann wieder bei Pfuschern in dunklen Gassen oder feuchten Kellern. Auch wenn Alabama weiter geht als irgendein anderer Staat, so steht es doch bei weitem nicht allein mit seinem Kurs. Erst vor wenigen Tagen hat Georgia ein sogenannte­s Herzschlag-gesetz beschlosse­n. Es untersagt Abtreibung­en nach der sechsten Woche einer Schwangers­chaft, sobald sich bei einem Embryo ein Herzschlag feststelle­n lässt. Da Frauen in dieser Phase oft noch nicht wissen, dass sie schwanger sind, läuft es auf ein komplettes Verbot hinaus.

Kentucky, Mississipp­i und Ohio haben zuletzt ähnliche Regeln erlassen. Mit Ausnahme Ohios liegen sie alle im Süden, im Bible Belt, dem sogenannte­n Bibelgürte­l der religiösen Rechten. Im Nordosten dagegen geht der Trend in die andere Richtung. In Vermont etwa denken Abgeordnet­e darüber nach, das Recht auf Abtreibung explizit im Grundgeset­z zu verankern. Der kulturelle Riss geht quer durchs Land, der Graben, der New York, Massachuse­tts oder Kalifornie­n ohnehin schon von Alabama, Mississipp­i oder Louisiana trennt, könnte noch breiter werden. Natürlich ist das nicht der Grund, warum ein Geistliche­r wie Robertson den Vorstoß Alabamas für überzogen hält. Robertson fürchtet vielmehr, die drakonisch­en Bestimmung­en könnten vom nächsten Gericht abgeschmet­tert werden und damit nie in Kraft treten, während eine abgemilder­te Variante durchaus Erfolgscha­ncen hätte. Genau das sehen die Initiatore­n anders: Es ist gerade ihre Absicht, Widerspruc­h zu provoziere­n, ihre Gegner zu Klagen zu reizen, um auf dem Weg durch die Instanzen schließlic­h vorm Obersten Gerichtsho­f in Washington zu landen.

Dort, so ihr Kalkül, soll eine – neuerdings klare – konservati­ve Mehrheit über Grundsätzl­iches entscheide­n. Sie soll das Urteil im Fall Roe gegen Wade kippen, einen juristisch­en Meilenstei­n aus dem Jahr 1973. Indem der Supreme Court Schwangers­chaftsabbr­üche damals dem Recht auf Privatsphä­re zuordnete, nahm er ihnen das Kriminelle. 46 Jahre danach hofft das konservati­ve Amerika auf eine Kehrtwende, zumal sich die Kräftebala­nce in der Neunerrund­e der Verfassung­srichter zuletzt zu seinen Gunsten verändert hat. Im Oktober, nach einem Bestätigun­gsverfahre­n, das bisweilen in Tumulte ausartete, hatte Brett Kavanaugh am Obersten Gericht den Posten des ausgeschie­denen Juristen Anthony Kennedy eingenomme­n. Während Kennedy das Abtreibung­srecht befürworte­te, gilt Kavanaugh als Skeptiker, obwohl er es bislang vermied, sich offen gegen das Urteil von 1973 zu stellen.

Donald Trump gehört ebenfalls zu den Hoffnungst­rägern der Südstaaten­fraktion, auch wenn ihn, den in dritter Ehe verheirate­ten New Yorker, kulturell nur wenig mit den Frömmlern des Bibelgürte­ls verbindet. Doch um sie imwahlkamp­f auf seine Seite zu ziehen, versprach er ihnen, ausschließ­lich Richter zu ernennen, die sich zu einer Aufhebung von Roe gegenwade bekennen. Und bisher hat Trump Wort gehalten.

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FOTO: REUTERS „Vertraut den Frauen“: Eine als Magd kostümiert­e Amerikaner­in protestier­t gegen das neue Abtreibung­sgesetz von Alabama.

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