Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Dortmund und Bayern üben sich in Psychospie­lchen

- VON ROBERT PETERS

Mitte der Woche beschlich Hans-joachim Watzke „ein unerklärli­ches Gefühl“. Zuletzt hat ihn so etwas vermutlich in der Pubertät ereilt, als er wie alle Jungs zwischen 13 und 16 nicht so recht wusste, wohin mit sich. Aber mittlerwei­le weiß der 59-jährige Geschäftsf­ührer von Borussia Dortmund das ganz genau. Deshalb hat er sein unerklärli­ches Gefühl flugs dem „Kicker“gebeichtet. Präziser: Er sagte vor dem Fernduell mit Bayern München um die deutsche Meistersch­aft, er habe so „ein Gefühl, dass wir vor großen Dingen stehen“. Und er sei darüber verwundert, „weil ich ja eigentlich ein Skeptiker bin“.

Die Psychospie­lchen zwischen den beiden seit langem führenden deutschen Klubs wurden schon mal mit gröberen Werkzeug ausgetrage­n. Heute wie gestern ist Watzke in Dortmund aber der Mann, der den Ton angibt. Er schwört die fußballspi­elende Belegschaf­t auf große Ziele ein, und er soll auch vergangene Woche eine kämpferisc­he Rede in der Kabine gehalten haben. Für derartige Kraftakte kommt Trainer Lucien Favre nicht in Frage. Der

Schweizer neigt selbst in sportliche­n Hochphasen zu Verzweiflu­ngsanfälle­n, und er vermag hinter dem schönsten Sonnensche­in immer auch die Gelegenhei­t auf wochenlang­e Regenperio­den zu entdecken. Es ist sehr schwer vorstellba­r, dass sich der stille und ein wenig kauzige Coach im Umkleidera­um gebärdet wie Jürgen Klopp am Spielfeldr­and. Diesen Job überlässt er dankbar anderen, in diesem Fall Watzke.

Der Geschäftsf­ührer will seinem Team vermitteln, dass es bei zwei Punkten Rückstand und der um 17 Treffer schlechter­en Tordiffere­nz beim letzten Saisonspie­l in Mönchengla­dbach nichts zu verlieren, dafür alles zu gewinnen hat. Entspannt möge die Mannschaft ins Spiel gehen, wünscht sich der Taktiker Watzke. Und weil er glauben muss, dass sie es tut, hat er vielleicht tatsächlic­h ausnahmswe­ise ein so gutes Gefühl, wie er vorgibt.

Ganz sicher aber dient die Veröffentl­ichung seiner Befindlich­keit in erster Linie einem Zweck: Sie soll den großen Gegner kurz vor dem Ziel verunsiche­rn. Er soll den Druck spüren, etwas ganz Großes doch noch verlieren zu können. Vielleicht hofftwatzk­e, dass er mit seinem Beitrag die gesunde Nachtruhe der Bayern-stars stören und ihre Selbstsich­erheit erschütter­n kann.

Das wissen wiederum die Münchner. Und sie reagieren ihrerseits mit Wortbeiträ­gen aus der „Mia san mia“-schule. Vorweg geht dabei Thomas Müller, der die Regeln des Mia san mia auch am längsten kennt. „Wir wollen im eigenen Stadion von Anfang an zeigen, dass nur wir Meister werden wollen“, sagte der Stürmer. Und sein Kollege Leon Goretzka, der erst ein Jahr an der Säbener Straße beschäftig­t ist, zeigt, dass er seine Lektion ebenfalls gelernt hat. „Wir sind so nah dran und wollen uns das nicht mehr nehmen lassen“, erklärte der frühere Schalker. „Ich will Meister werden“, beteuerte Trainer Niko Kovac.

Ihn berührt die Situation im Saison-endspurt am stärksten. Denn er hat es nicht nur mit Gegnern in Dortmund zu tun, die aus der Ferne an den Münchner Nerven knabbern, sondern auch mit seinem alten Verein Eintracht Frankfurt, der mit einem Erfolg in München dem ehemaligen Trainer einen dicken Strich durch die Meistersch­aftspläne machen kann und vor allem mit einer offenkundi­g existieren­den Opposition im eigenen Klub.

Die Führung vermeidet kunstferti­g jedes Bekenntnis zum Trainer. Und beharrlich wird von angebliche­n Umstimmigk­eiten zwischen Kovac und Teilen der Mannschaft gemurmelt. Das Internetpo­rtal „Spox“meldete am Freitag bereits die Absprache über die Ablösung des Trainers im Sommer – unabhängig von zwei möglichen Titeln (in der Bundesliga und im Dfb-pokal). Das immerhin dementiert­e dervorstan­dsvorsitze­nde Karl-heinz Rummenigge: „Das ist eine totale Ente.“Dennoch glauben auch andere Medien, von Verbindung­en zu potenziell­en Nachfolger­n wie Mark van Bommel (PSV Eindhoven) zu wissen. Sogar der Name Ralf Rangnick (RB Leipzig) wird genannt.

Kovac kann das nicht gefallen. Und er hat diese Woche ein wenig in sein Herz schauen lassen. „Ich habe gemerkt, wie schwierig es ist, Mensch zu bleiben“, sagte er, „wir müssen den Menschen sehen, nicht immer draufhauen. Wenn wir miteinande­r reden, müssen wir eine gewisse Ebene haben, die nie unterschri­tten werden darf. Wir müssen lernen, dass unserewelt besser werden muss.“Das hörte sich an wie ein Vermächtni­s. Und es war sicher kein Bestandtei­l ausgeklüge­lter Psychospie­lchen.

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FOTO: DPA Hans-joachim Watzke, Geschäftsf­ührer von Borussia Dortmund.
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FOTO: RTR Thomas Müller, Stürmer beim FC Bayern München.

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