Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Als der Wagen nicht kam
Noch im Mai 1939 konnten sie dann mit allen Sachen nach Luzern umziehen. Es war wirklich der allerletzte Augenblick für ihre Rettung gewesen. Hätte Wachsmann nicht das bedeutende Auslandsvermögen gehabt, wäre ihm das Visum sicher nicht erteilt worden. Die Alliierten und Neutralen sind den Juden gegenüber auch nicht von Barmherzigkeit erfüllt gewesen. Ich war eine Weile in Sorge, ob das Gespräch nach Bern nicht etwa abgehört worden war, aber es geschah nichts.
Sehr bedrückend während der Hitlerzeit war die Beschneidung der Pressefreiheit. Die deutsche Presse war völlig gleichgeschaltet, und nicht einmal die reinen Tatsachenmeldungen in Presse und Rundfunk waren noch glaubhaft. Die ausländischen Zeitungen wurden weitgehend verboten. Zudem fürchtete man sich, sie durch die Post zu be
ziehen. Eine Zeitlang kam noch der „Osservatore Romano„, hinsichtlich dessen ich bei Weiterungen glaubte, mich mit dem Konkordat ausreden zu können. Außerdem bezogen wir den „Telegraaf“. Eine holländische Zeitung erschien weniger belastend als eine englische oder französische. Zudem bestellte ich sie auf den Namen meiner Mutter. Die Zeitung ist die Jahre hindurch unbeanstandet gekommen, abgesehen von ganz seltenen Ausnahmen, wo man sie wohl an der Grenze schon beschlagnahmt hat. Wir haben sogar noch prompt die Nummer vom Tage des deutschen Einmarsches in Holland erhalten. Das Eintreffen der Zeitung war der Lichtblick des Tages, da man sich durch sie irgendwie noch mit der freien Welt verbunden fühlte. Auf diese Weise ist bei mir die Hoffnung lebendig geblieben, dass die Hitlerherrschaft eines Tages in nicht allzu unbestimmbarer Zeit enden werde.
In derselben Weise wirkte das Abhören des englischen Rundfunks, der in Berlin ausgezeichnet gut zu hören war. Ich bin dabei mit größtmöglichervorsicht zuwerke gegangen, nur abends, wenn die Dienstmädchen bereits zu Bett gegangen waren. Die Hand war immer griffbereit, um notfalls sofort die Skala wieder auf den Deutschlandsender umstellen zu können. Als fast ritueller Akt wurde vorher ein immer dafür bereitliegender Kaffeewärmer über das Telefon gestülpt und nachher die Skala wieder verstellt. Es liefen damals schon Zweifel um über die Wirksamkeit dieser Art von Ausschaltung der Abhörmöglichkeit, die man auch bei der Unterhaltung im Zimmer meist vornahm. Aber man muss die Fähigkeiten des Gegners auch nicht überschätzen. Die Gestapo hätte nur Stichproben in den Wohnungen machen brauchen, um alle Leute zu verhaften, auf deren Schreibtisch neben dem Telefon eine Kaffeemütze lag.
Im Kriege lief über das verbotene Abhören von Feindsendern folgende nette Geschichte: Familie Schmitz sitzt abends betrübt zusammen und unterhält sich über das Seelenamt, das am nächsten Morgen für den von der Truppe als gefallen gemeldeten Sohn Joseph gehalten werden soll. Gedankenverloren tut der alte Onkel Anton um 10 Uhr den gewohnten Griff nach dem Radioapparat, und man hört trotz der Trauer die üblichen deutschen Abendnachrichten des Londoner BBC, an deren Schluss die Namen kürzlich in englische Gefangenschaft geratener deutscher Soldaten verlesen wurden, um so möglichst viele Hörer anzulocken. Gerade wollte Onkel Anton mangels konkreten Interesses den Apparat abstellen, da ertönte deutlich aus ihm: „Joseph Schmitz aus X.“
(Fortsetzung folgt)
ERPELINO