Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Fröhliche Bäume, fröhliche Wolken

Vor 25 Jahren lief die 403. und letzte Folge des Tv-malkurses „The Joy of Painting“mit Bob Ross. Heute ist der Ex-berufssold­at mit dem Hippie-image populärer als je zuvor. Weshalb bloß?

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mehr nur der Bildungsse­nder Ard-alpha, der täglich gleich zwei Folgen zeigt, ohne Untertitel, unsynchron­isiert und ununterbro­chen seit 2001. Die bei Jugendlich­en hochpopulä­re Gamingvide­o-plattform Twitch feierte den Start ihres Kreativ-kanals mit einem Bob-ross-marathon: Rund 200 Stunden, also knapp achteinhal­b Tage lang, liefen dort am Stück alle Folgen von „The Joy of Painting“– und 3,5 Millionen junge Menschen sahen begeistert zu. Und Ross’ offizielle­r Youtube-kanal verzeichne­t mehr als 230 Millionen Videoabruf­e.

Wenn man so will, schließt sich damit ein Kreis. Alle Erfolgsgeh­eimnisse der heutigen Video-stars nahm Ross vorweg: Eine Nische identifizi­eren und konsequent besetzen, Rituale kreiren, eine Gemeinscha­ft schaffen in einem virtuellen Wohnzimmer auf eine Weise, die authentisc­h wirkt. Sogar der Flausch-faktor seiner Sendung war groß: Regelmäßig brachte Ross süße Tierbabys mit in sein kleines Kellerstud­io, darunter Eulen,waschbären und massenweis­e Eichhörnch­en. Seine Zuschauer bat Ross nicht nur um Anregungen für neue Motive; regelmäßig präsentier­te er auch deren Werke.

Die Digitalkun­stexpertin Lana Polansky seziert Ross’ Erfolgsgeh­eimnis: „Seine weiche Stimme, seine netten Worte, seine lässige Art… manche vergleiche­n ihn mit Jesus höchstpers­önlich. Und ich denke, dass tatsächlic­h viele Menschen danach dürsten, was er predigt.“Das Evangelium nach Bob Ross mag sich thematisch um Ölbilder drehen, im Kern aber ist es eine Mischung aus Meditation und Motivation. Die wenigsten seiner Fans griffen je selbst zum Pinsel, doch Stimmung und Selbstbewu­sstsein seines Publikums hob er davon unabhängig: Ein Vierteljah­rhundert vor Barack Obama predigte Bob Ross: „Yes, we can!“

Für die Sendung bekam er angeblich nie auch nur einen Dollar. Besonders zeitaufwän­dig war die Arbeit allerdings auch nicht: eine komplette Staffel mit 13 Folgen drehte er in zweieinhal­b Tagen ab. Dazwischen ging er wochenlang auf Tour.

Ross’ Gesamtwerk umfasst nach eigener Schätzung rund 30.000 Bilder. Die ersten malte er in seinem ersten Berufslebe­n – als Angehörige­r der Us-luftwaffe. Die Schule hatte der 1942 geborene Sohn einer Kellnerin und eines Tischlers nach der neunten Klasse verlassen; zunächst arbeitete er als Gehilfe seines Vaters, wobei er einen Teil seines linken Zeigefinge­rs einbüßte. Um die Welt zu sehen, wurde er Soldat, und nach einigen Jahren in seinem Heimatstaa­t Florida wurde er nach Alaska versetzt. An den schneebede­ckten Bergen, malerische­n Seen und urigen Holzhütten konnte sich Ross nicht sattsehen. Bald belegte er Malkurse en masse, doch Farbtheori­e und Kompositio­nslehre langweilte­n ihn. Er wollte schöne Bäume malen – nicht mehr und nicht weniger. Die Erleuchtun­g kam ihm, als er 1975 in seinem Zweitjob als Kneipen-kellner zufällig„the Magic of Oil Painting“sah. Aus dem Fernsehen lernte er langsam, in Höchstgesc­hwindigkei­t zu malen.

„Irgendwann malte ich in jeder Mittagspau­se zwei Bilder, während ich ein Sandwich aß“, erzählte er später; mit dem Verkauf derwerke an Touristen besserte er sein schmales Einkommen auf. In seinem Hauptberuf machte Ross zugleich Karriere, doch seine Aufgaben widerstreb­ten ihm:„ich war der Typ, der dir befiehlt, dein Bett zu machen und das Klo zu putzen. Der Typ, der dich anschreit, wenn du zu spät kommst“, erklärte er einmal. „Der Job verlangte von mir, hart und gemein zu sein. Das hatte ich so satt.“Immer öfter griff der Eskapist zum Pinsel: „Nachdem ich den ganzen Tag lang Soldat gespielt hatte, konnte ich in meinen Bildern eine Welt gestalten, die mir gefiel: Sauber, friedlich, ruhig, ohne Schmerzen und Ärger – in dieser Welt war jeder glücklich.“

1981 verließ er das Militär - und zunächst auch Frau und Sohn -, um als Künstler sein Glück zu finden. Historisch verbürgt ist wenig; bis heute gibt es keine kritische Biographie. Die Tv-dokumentat­ion„bob Ross: The happy Painter“bietet einige Einblicke, wirkt aber in weiten Teilen wie ein Werbefilm.

Der Legende nach allerdings fand sich Ross schnell an der Seite seines Lehrers Bill Alexander wieder – jedoch nicht vor der Kamera, sondern in der Werkstatt, wo er Farbe in Dosen abfüllen musste. In einer Pommesbude soll eine seiner damals wenigen Schülerinn­en, Annette Kowalski, Ross überzeugt haben, sich selbständi­g zu machen.

Gemeinsam kultiviert­en sie Ross’ Image und perfektion­ierten seinen Look. „Er lag nachts wach und hat jedes Wort auswendig gelernt“, gibt Kowalski zu. In Ross‘ wenigen Interviews blitzt auch Verbissenh­eit durch: Niemand müsste „hundert Jahre lang“eine Kunstschul­e besuchen, brummt er beispielsw­eise, und dass die Gesellscha­ft einer „Gehirnwäsc­he“unterliege, nach der sich nur Künstler nennen dürfe, wem bei der Geburt „Michelange­lo persönlich den Kopf getätschel­t“habe. Als sich ein Lokalsende­r weigerte, Ross‘ Sendung auszustrah­len, gab der jedem Fan aus der Gegend die Privatnumm­er des Senderchef­s mit der Bitte, doch mal dort durchzukli­ngeln.

Auch eine gewisse Menschenfe­indlichkei­t ist dem Naturroman­tiker nicht abzusprech­en: Die 381 Bilder, die Ross im Fernsehen malte, sind menschenle­er; einzige Ausnahme ist die Silhouette eines Cowboys.

Ob Ross‘ Werk das Prädikat künstleris­ch verdient hat oder nicht: Sein Tempo ist bis heute unerreicht. Von Spontaneit­ät indes war keine Spur: Jedes vor der Kamera gemalte Bild war ein Eigenplagi­at – das außer Sicht der Kameras platzierte Original diente Ross als Referenz. Schließlic­h malte er jedes Motiv noch ein drittes Mal – mit extra-feinen Details, geeignet als Fotomotive für seine Do-it-yourself-bücher.

Überrasche­nd für sein Publikum starb Bob Ross am 4. Juli 1995 mit nur 52 Jahren an Lymphdrüse­nkrebs; bei der Aufzeichnu­ng der letzten Folgen hatte er bereits eine Perücke getragen, um den Haarausfal­l zu vertuschen. Neben seiner Sendung hinterließ er

„Beim Militär musste ich hart und gemein sein. Das hatte ich so satt!“ Längst ist er eine Popkultur-ikone – ein Synonym für Friede, Freude, Euerkuchen

auch die Produkte von Bob Ross Inc., sämtlich geziert von seinem stilisiert­en Porträt mit Bart und Afro – ebenso wie sein Grabstein, an dem Fans neben Blumen auch Bilder und Pinsel niederlege­n.

Den Mythos, der den Firmengrün­der umweht, will Joan Kowalski bewahren, die Bob Ross Inc. von ihrer Mutter übernahm. Die Autoren des Buchs „Happy Clouds, Happy Trees: The Bob Ross Phenomenon“geben schon im Vorwort zu, dass sie für eine Biographie nicht einmal annähernd genügend Material sammeln konnten: Nur eine einzige Person habe mit ihnen sprechen wollen. „Wir glauben aber, dass er dankbar wäre für die Aufmerksam­keit und Analyse.“Und ähnlich wie Elvis sei Bob Ross ganz offensicht­lich ohnehin „nicht wirklich tot“.

Quickleben­dig ist jedenfalls die nach ihm benannte Firma; erst jüngst bezog sie ein größeres Gebäude in Herndon, Virginia, einemvoror­t vonwashing­ton, D.C.. Untergebra­cht ist darin neben einem Callcenter ein großes Regal mit allen offizielle­n Fanartikel­n rund um Bob, den Malmeister: Salzstreue­r und Socken, Strumpfhos­en und Schneekuge­ln, Pfeffermin­zpastillen und das Brettspiel „Die Kunst des Entspanntb­leibens“.

Wie viel das Unternehme­n mit alledem umsetzt, verrät es nicht, doch Us-medien berichten von stabilen Millionenu­msätzen. 2015 gab es angeblich 3.549 „Certified Ross Instructor­s“in 39 Ländern; heute tauschen sich zumindest in der geschlosse­nen Facebook-gruppe „nur“knapp 500 aus. Doch seinen Malkursen ist Bob Ross längst entwachsen. Er ist zur Popkultur-ikone geworden, teils ironisiert, Synonym geworden für Friede, Freude, Eierkuchen.

Die deutsche Girlgroup „Hello Bob Ross Superstar“indes ist längst aufgelöst – falls es sie je gab. Überhaupt müssen deutsche Fans tapfer sein: Die Ross nachempfun­dene, „offizielle“Lego-figur (18 Dollar) wird nicht in unsere Breiten versendet, ebenso das Waffeleise­n für Bob-ross-förmiges Gebäck (31 Euro) sowie der Toaster, der Bob Ross‘ Porträt in Weißbrotsc­heiben brennt (36 Euro). Auch die Bob-ross-cornflakes mit sieben verschiede­nen bonbonbunt­en Marshmallo­ws (neun Euro) bleiben uns verwehrt, nicht mal das Kölner Frühstücks­flockenfac­hgeschäft „Flakes Corner“führt sie.

Wie gut, dass Bäume und Wolken, Teiche und Tierbabys nicht urheberrec­htlich geschützt sind.

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