Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Packendes Drama um Pflegerin
Eine Altenpflegerin soll drei Patienten getötet haben, um sich zu bereichern. Doch beweisen können ihr die Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz im „Tatort“-fall „Anne und der Tod“lange Zeit nichts.
STUTTGART Nach Jahren der eher gediegenen Mittelmäßigkeit entwickelt sich der Stuttgarter „Tatort“langsam zum Highlight am Sonntagabend. Der neue Krimi „Anne und der Tod“dürfte schon jetzt zu den besten Folgen des Jahres gehören.
Dabei scheint schon zu Beginn des Falls alles klar zu sein. Die Altenpflegerin Anne (Katharina Marie Schubert) hat drei alte, sehr kranke Männer umgebracht. Das erste Opfer war ein ans Bett gefesseltes Scheusal, das seine Familie terrorisierte und die Pflegerin sexuell bedrängte. Sohn und Schwiegertochter feierten kurze Zeit nach dem Todesfall ein rauschendes Fest. Das zweite Opfer war seiner tyrannischen Frau schutzlos ausgeliefert und lag den ganzen Tag einsam im Bett. Der dritte Patient trank trotz Leberzirrhose weiter Wodka aus der Flasche und versank unrettbar im Kummer über sein gescheitertes Leben.
Die drei Männer starben kurz nach einem Hausbesuch von Pflegerin Anne. Schon vor einigen Jahren stand sie einmal unterverdacht. Damals wurde allerdings schlampig ermittelt. Doch jetzt liegen die Dinge scheinbar auf der Hand. Eigentlich müssen die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) nur noch die Frage klären, ob die Patienten aktiv um Sterbehilfe gebeten hatten, und ob Anne für ihr Tun Geld nahm. Die Ermittler können der Pflegerin aber nichts beweisen, die Todesursachen lassen sich nicht mit Sicherheit feststellen. Alle Opfer nahmen starke Medikamente. Hinweise auf körperliche Gewalt gibt es nicht. Und Anne kann jede Frage der Kommissare beantworten.
Sie tut dies gelassen und stets mit einem Lächeln. Zwar steht die alleinerziehende Mutter unter großem finanziellen Druck. Das Auto ist kaputt, die Wohnung zu klein, der pubertierende Sohn klaut Kreditkarten, um sich teure Kleidung zu kaufen. Doch Anne bleibt imverhör entspannt. Ihre Chefin beschreibt sie als freundlich, korrekt und einfühlsam. Auf dem Handy der Pflegerin befinden sich keine verdächtigen Nachrichten. Als sie dann noch beweisen kann, dass der mysteriöse Erzeuger ihres Sohnes die Familie regelmäßig mit Bargeld versorgt, müssen sich die Kommissare eingestehen, dass sie Anne vielleicht wieder laufen lassen müssen.
Wie schon im vergangenen Stuttgarter Fall „Der Mann, der lügt“fesselt die komplizierte Suche nach der Wahrheit den Zuschauer über die gesamten 90 Minuten. Autor Wolfgang Stauch und Regisseur Jens Wischnewski setzen dabei auf Zeitsprünge und Perspektivwechsel, ohne den Film jedoch zu verkünsteln oder die Intensität zu mindern. Die schwierigen Bedingungen in der Pflegebranche werden in kurzen Szenen prägnant geschildert, ohne das leider allzu bekannte Thema zu sehr auszuwalzen. Die Rolle der Anne wurde mit Theaterschauspielerin Katharina Marie Schubert herausragend besetzt. Der Zuschauer wird bis zum Ende nicht schlau aus ihrer Figur. Die tatsächliche Auflösung des Falls ist erschütternd – wenn auch aus anderen Gründen, als der Zuschauer lange vermutet.
Schon vor der Ausstrahlung wurde „Anne und der Tod“mit dem Baden-württembergischem Filmpreis ausgezeichnet. Die Jury lobte den Stuttgarter Krimi als„durchweg packend“und von„großer Sensibilität“. Dem ist tatsächlich nichts hinzuzufügen. „Tatort: Anne und der Tod“, Das Erste, So. 20.15 Uhr