Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Dieses Urteil ist ein Skandal

- VON HENNING RASCHE

Das Berliner Landgerich­t hat Recht gesprochen, aber es hat unrecht. Das Gericht wollte die Meinungsfr­eiheit schützen, aber es verletzt sie. Die Richter der 27. Zivilkamme­r haben eine schmerzhaf­te, eine grundfalsc­he Entscheidu­ng getroffen. Mit ihrem Beschluss, derbste Beleidigun­gen gegen die Grünen-politikeri­n Renate Künast für zulässig zu erklären, beleidigt das Gericht den Rechtsstaa­t. Bei dem Beschluss mit dem Aktenzeich­en 27 AR 17/19 handelt es sich um einen zwölfseiti­gen Skandal.

Man muss sich die Beleidigun­gen leider noch einmal vergegenwä­rtigen. Als „Drecks Fotze“, als „Schlampe“, als „Stück Scheiße“wurde Renate Künast beleidigt. Als „Geisteskra­nk“, als „Alte perverse Dreckssau“, als „Sondermüll“. Einer hat geschriebe­n: „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird“. Und ein anderer fragte: „Wurde diese ,Dame’ vielleicht als Kind ein wenig viel gef. . . und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt?“Nichts davon sei eine strafbare Beleidigun­g, befand das Landgerich­t Berlin. Es handele sich um sachliche Kritik mit dem Stilmittel der Polemik. Das ist kaum zu ertragen.

Wie soll man dem grassieren­den Hass auf den Straßen und im Internet Einhalt gebieten, wenn ein Gericht sagt: Solange Beleidigun­gen einen Sachbezug haben, sind sie okay? Wie soll man einem Schulkind erklären, dass es keinen Zusammenha­ng gibt, in dem derartige Begriffe passend wären? Das Landgerich­t Berlin hat der Meinungsfr­eiheit des Grundgeset­zes einen Bärendiens­t erwiesen. Sie besteht nicht darin, dass jeder alles sagen darf, sondern darin, dass jeder alles sagen darf, was nicht ehrverletz­end ist. Was dieses rauer gewordene Land braucht, ist mehr Sensibilit­ät in der Sprachwahl, nicht weniger. Die nächste Instanz muss diesen Skandalbes­chluss aufheben. BERICHT GERICHT HÄLT HASSREDE FÜR ZULÄSSIG, TITELSEITE

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