Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein bedrückendes Signal
KOMMENTAR
BERLIN Schwangere mit besonderen Risiken werden ab Ende kommenden Jahres auch mit einem risikoarmen Bluttest auf Rezept feststellen können, ob ihr Kind ein Down-syndrom aufweist. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) an diesem Donnerstag nach einem gut dreijährigen Bewertungsverfahren beschlossen. Die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bedauerte, dass der G-BA nicht das Ergebnis einer Bundestagsdebatte abwartete. Es seien auch nach der Entscheidung wichtige politische Fragen nicht geklärt, wie die vorgeschriebene Beratung und die Qualifikation der behandelnden Ärzte. „Dazu und zu anderen ethischen Fragen in diesem Zusammenhang muss der Deutsche Bundestag klare gesetzliche Regelungen setzen“, sagte Schmidt unserer Redaktion.
Mit dem zeitlichen Strecken der Kassenleistungen ermöglichte das Gremium aus Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen eine klarstellende Intervention von Bundesregierung und Bundestag. Erst wenn die genaue Formulierung einer Versicherteninformation im vierten Quartal des kommenden Jahres vorliege, werde der so genannte nicht-invasive molekulargenetische Test (NIFT) als Kassenleistung wirksam, versicherte G-ba-vorsitzender Josef Hecken.
In einem Brief an die Gegner des Bluttests im Bundestag begründete Hecken die einstimmig erfolgte Entscheidung mit einer Verringerung des Risikos für Schwangere, die bislang nur die riskanteren Fruchtwasser- und Plazenta-untersuchungen von der Kasse bezahlt bekommen. Eine solche Diagnostik sei zukünftig nur noch bei auffälligen Befunden im Bluttest erforderlich, unterstrich Hecken.
„Ich bin erleichtert, dass der Bluttest auch weiterhin nicht als Reihenuntersuchung durchgeführt werden soll“, sagte Schmidt. Dies hätte das Signal in die Gesellschaft gesendet, dass das Leben mit Down-syndrom als vermeidbar angesehen werde und diese Menschen in unserer Gesellschaft nicht willkommen seien, erläuterte die Spd-politikerin. Skeptischer in dieser Sache ist Grünen-behindertenexpertin Corinna Rüffer. Der G-BA habe die „Risikogruppe“, für die der Test künftig finanziert werde, nur „wachsweich eingegrenzt“. Die Kassenübernahme des Tests sende das Signal aus, dass er sinnvoll sei. „Deshalb werden ihn Schwangere vermehrt nutzen“, sagt Rüffer voraus.
Wer den Test nicht machen wolle, werde sich in Zukunft eher rechtfertigen müssen. Menschen mit Trisomie 21 seien aber genau so glücklich oder unglücklich wie Menschen ohne Trisomie. „Schwangeren zu suggerieren, es sei ein Risiko, solch ein Kind zu bekommen, ist falsch“, erklärte die Grünen-politikerin. Auch Rüffer kündigte an, die im April begonnene Orientierungs-debatte des Bundestages fortzusetzen und in Entscheidungen über den Umgang mit molekulargenetischen Tests münden zu lassen.
Die Spd-abgeordnete Hilde Mattheis begrüßte den Test auf Rezept als Stärkung des Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Fdp-gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-dugnus unterstützte ebenfalls den G-BA: „Ein Test darf nicht vom Geldbeutel abhängen“.
Dagegen warnte der Menschenrechtspolitiker der Union, Michael Brand, vor einem „zunehmenden Prozess schleichender Selektion von ungeborenem Leben“. Die Linken-politikerin Karthrin Vogler sieht die Entscheidung als Präzedenzfall für Hunderte weiterer Tests, die in der Entwicklung seien. Kommentar Machen wir uns beim Down-test auf Rezept nichts vor: Dass Frauen nicht mehr nur den riskanten Fruchtwassertest als Kassenleistung bekommen sollen, sondern auch den risikoarmen Bluttest, ist als Argument nicht falsch, aber es erfasst nur die Oberfläche. Tatsächlich macht diese Gesellschaft die Tür zu durchdesignten Babys ein Stück mehr auf. Und das bedeutet, dass wir uns der Frage nähern, welches Leben unerwünscht sein soll. Mit der Entscheidung für die Kostenübernahme zur Feststellung des Down-syndroms wird ein bedrückendes Signal ausgesendet: Menschen mit besonderen Charaktereigenschaften kommen auf eine Liste mit Krankheiten, die zu beseitigen die Kassen unterstützen. Damit begibt sich die Gesellschaft in eine Spirale, die zwischen vermeintlich „normalem“und geschütztem Leben und angeblich „krankem“und nicht mehr zu schützendem Leben zu unterscheiden beginnt.
Es kommt nun auf den Bundestag an, vor der Wirksamkeit der Kommissionsentscheidung Ende nächsten Jahres Begrenzungspfähle einzurammen. Die Konturen des Weges müssen noch klarer werden, auf dem diese Gesellschaft sowohl mit berechtigten Gesundheitsinteressen von Schwangeren als auch mit dem Lebensrecht von Ungeborenen umgehen soll. Und welche Rolle dabei der Umstand von Behinderungen oder besonderen Begabungen spielen darf: keine.
Gregor Mayntz
„Ich bin erleichtert, dass der Bluttest auch weiterhin nicht als Reihenuntersuchung durchgeführt werden soll“Ulla Schmidt Frühere Gesundheitsministerin (SPD)