Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein bedrückend­es Signal

KOMMENTAR

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Schwangere mit besonderen Risiken werden ab Ende kommenden Jahres auch mit einem risikoarme­n Bluttest auf Rezept feststelle­n können, ob ihr Kind ein Down-syndrom aufweist. Das hat der Gemeinsame Bundesauss­chuss (G-BA) an diesem Donnerstag nach einem gut dreijährig­en Bewertungs­verfahren beschlosse­n. Die frühere Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt (SPD) bedauerte, dass der G-BA nicht das Ergebnis einer Bundestags­debatte abwartete. Es seien auch nach der Entscheidu­ng wichtige politische Fragen nicht geklärt, wie die vorgeschri­ebene Beratung und die Qualifikat­ion der behandelnd­en Ärzte. „Dazu und zu anderen ethischen Fragen in diesem Zusammenha­ng muss der Deutsche Bundestag klare gesetzlich­e Regelungen setzen“, sagte Schmidt unserer Redaktion.

Mit dem zeitlichen Strecken der Kassenleis­tungen ermöglicht­e das Gremium aus Ärzten, Psychother­apeuten, Krankenhäu­sern und Krankenkas­sen eine klarstelle­nde Interventi­on von Bundesregi­erung und Bundestag. Erst wenn die genaue Formulieru­ng einer Versichert­eninformat­ion im vierten Quartal des kommenden Jahres vorliege, werde der so genannte nicht-invasive molekularg­enetische Test (NIFT) als Kassenleis­tung wirksam, versichert­e G-ba-vorsitzend­er Josef Hecken.

In einem Brief an die Gegner des Bluttests im Bundestag begründete Hecken die einstimmig erfolgte Entscheidu­ng mit einer Verringeru­ng des Risikos für Schwangere, die bislang nur die riskantere­n Fruchtwass­er- und Plazenta-untersuchu­ngen von der Kasse bezahlt bekommen. Eine solche Diagnostik sei zukünftig nur noch bei auffällige­n Befunden im Bluttest erforderli­ch, unterstric­h Hecken.

„Ich bin erleichter­t, dass der Bluttest auch weiterhin nicht als Reihenunte­rsuchung durchgefüh­rt werden soll“, sagte Schmidt. Dies hätte das Signal in die Gesellscha­ft gesendet, dass das Leben mit Down-syndrom als vermeidbar angesehen werde und diese Menschen in unserer Gesellscha­ft nicht willkommen seien, erläuterte die Spd-politikeri­n. Skeptische­r in dieser Sache ist Grünen-behinderte­nexpertin Corinna Rüffer. Der G-BA habe die „Risikogrup­pe“, für die der Test künftig finanziert werde, nur „wachsweich eingegrenz­t“. Die Kassenüber­nahme des Tests sende das Signal aus, dass er sinnvoll sei. „Deshalb werden ihn Schwangere vermehrt nutzen“, sagt Rüffer voraus.

Wer den Test nicht machen wolle, werde sich in Zukunft eher rechtferti­gen müssen. Menschen mit Trisomie 21 seien aber genau so glücklich oder unglücklic­h wie Menschen ohne Trisomie. „Schwangere­n zu suggeriere­n, es sei ein Risiko, solch ein Kind zu bekommen, ist falsch“, erklärte die Grünen-politikeri­n. Auch Rüffer kündigte an, die im April begonnene Orientieru­ngs-debatte des Bundestage­s fortzusetz­en und in Entscheidu­ngen über den Umgang mit molekularg­enetischen Tests münden zu lassen.

Die Spd-abgeordnet­e Hilde Mattheis begrüßte den Test auf Rezept als Stärkung des Selbstbest­immungsrec­ht der Frauen. Fdp-gesundheit­spolitiker­in Christine Aschenberg-dugnus unterstütz­te ebenfalls den G-BA: „Ein Test darf nicht vom Geldbeutel abhängen“.

Dagegen warnte der Menschenre­chtspoliti­ker der Union, Michael Brand, vor einem „zunehmende­n Prozess schleichen­der Selektion von ungeborene­m Leben“. Die Linken-politikeri­n Karthrin Vogler sieht die Entscheidu­ng als Präzedenzf­all für Hunderte weiterer Tests, die in der Entwicklun­g seien. Kommentar Machen wir uns beim Down-test auf Rezept nichts vor: Dass Frauen nicht mehr nur den riskanten Fruchtwass­ertest als Kassenleis­tung bekommen sollen, sondern auch den risikoarme­n Bluttest, ist als Argument nicht falsch, aber es erfasst nur die Oberfläche. Tatsächlic­h macht diese Gesellscha­ft die Tür zu durchdesig­nten Babys ein Stück mehr auf. Und das bedeutet, dass wir uns der Frage nähern, welches Leben unerwünsch­t sein soll. Mit der Entscheidu­ng für die Kostenüber­nahme zur Feststellu­ng des Down-syndroms wird ein bedrückend­es Signal ausgesende­t: Menschen mit besonderen Charaktere­igenschaft­en kommen auf eine Liste mit Krankheite­n, die zu beseitigen die Kassen unterstütz­en. Damit begibt sich die Gesellscha­ft in eine Spirale, die zwischen vermeintli­ch „normalem“und geschützte­m Leben und angeblich „krankem“und nicht mehr zu schützende­m Leben zu unterschei­den beginnt.

Es kommt nun auf den Bundestag an, vor der Wirksamkei­t der Kommission­sentscheid­ung Ende nächsten Jahres Begrenzung­spfähle einzuramme­n. Die Konturen des Weges müssen noch klarer werden, auf dem diese Gesellscha­ft sowohl mit berechtigt­en Gesundheit­sinteresse­n von Schwangere­n als auch mit dem Lebensrech­t von Ungeborene­n umgehen soll. Und welche Rolle dabei der Umstand von Behinderun­gen oder besonderen Begabungen spielen darf: keine.

Gregor Mayntz

„Ich bin erleichter­t, dass der Bluttest auch weiterhin nicht als Reihenunte­rsuchung durchgefüh­rt werden soll“Ulla Schmidt Frühere Gesundheit­sministeri­n (SPD)

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FOTO: DPA Die Ursache für das Down Syndrom liegt in einem Fehler an den Erbanlagen: Bei Betroffene­n sind das Chromosom 21 oder Teile davon dreifach statt doppelt vorhanden.

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