Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Krebsgefah­r durch Magensäure­blocker?

Die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur hat Medikament­e mit dem Wirkstoff Ranitidin wegen Verunreini­gungen zurückgeru­fen. Man habe krebserreg­ende Nitrosamin­e gefunden. Ein akutes Patientenr­isiko bestehe aber nicht.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BONN Was rezeptfrei aus der Apotheke kommt, kann nicht gefährlich sein. So urteilt der gesunde Menschenve­rstand. Manche Pille konsumiert unsereiner dann in dem Gefühl, sie sei eher nützlich als schädlich. Seit langer Zeit schwebt aber über Magensäure­hemmern aus der Gruppe der Protonenpu­mpenhemmer (etwa dem frei verkäuflic­hen Pantozol oder Omeprazol) der Verdacht, dass sie als Nebenwirku­ng andere Krankheite­n begünstige­n, vor allem wenn sie ohne Verordnung über lange Zeit und in falscher Dosierung eingenomme­n werden. Fachleute halten dagegen, dass diese angebliche­n Nebenwirku­ngen fast irrelevant seien.

In dieses Klima rund um Medikament­e gegen Sodbrennen und die Reflux-krankheit platzt nun eine Bombe. Die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur hat einen anderen Typ von Magensäure­blockern wegen potenziell krebserreg­ender Verunreini­gungen zurückgeru­fen. Es handelt sich um Medikament­e mit dem Wirkstoff Ranitidin, wie das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BFARM) in Bonn mitteilte. Ranitidin zählt zu den sogenannte­n H2-antihistam­inika. „Ein akutes Patientenr­isiko besteht nicht“, hieß es zugleich.

Zurückgeru­fen wurden alle Chargen von Arzneimitt­eln, die den vom Hersteller Saraca Laboratori­es Limited hergestell­ten Wirkstoff Ranitidin enthalten. Es lägen Indizien vor, dass auch der Wirkstoff weiterer Hersteller betroffen sein könnte, etwa Betapharm, Hexal, 1 A Pharma, ABZ und Ratiopharm.

Es gehe um Verunreini­gungen mit sogenannte­m N-nitrosodim­ethylamin (NDMA), besser bekannt als Nitrosamin. In Tierversuc­hen erwies sich die Substanz als wahrschein­lich krebserreg­end auch beim Menschen. „Bei einer Aufnahme von sehr geringen Mengen ist keine schädliche Wirkung zu erwarten“, schrieb das Bundesinst­itut. Der Rückruf erfolge aus Gründen des vorbeugend­en Gesundheit­sschutzes.

Woher kommen die Verunreini­gungen? Der Preisdruck bei sogenannte­n Generika ist immer größer geworden, weswegen die Pharmafirm­en oft im Ausland produziere­n lassen, etwa in Indien oder China, wo die Lohnkosten geringer sind. Dort herrschen auch schlechter­e Hygiene-standards als hierzuland­e. Erst im vergangene­n Jahr hatten verunreini­gte Blutdrucks­enker für Wirbel gesorgt. Verunreini­gungen mit krebserreg­enden Substanzen waren in Blutdruckm­itteln gefunden worden, die ebenfalls aus dem Ausland kamen. Hierzuland­e wurden Blutdrucks­enker mit dem Wirkstoff Valsartan zurückgeru­fen. Als Konsequenz wurden weltweit auch andere Arzneimitt­el untersucht, darunter die ranitidinh­altigen Arzneimitt­el.

Freilich herrscht kein Grund zur kollektive­n Verunsiche­rung, denn Ranitidin wird längst nicht so häufig verschrieb­en oder in Apotheken verkauft, seit es Protonenpu­mpenhemmer (PPI) gibt. Die wirken mit einem anderen Mechanismu­s und sind in der Gruppe der Magensäure­hemmer den Ranitidin-tabletten in der Wirkkraft deutlich überlegen. Beide Medikament-typen sind zwar verschreib­ungspflich­tig, können vom Patienten in kleiner Dosierung ohne Verordnung direkt in der Apotheke gekauft werden.

Was die Debatten um die Protonenpu­mpenhemmer betrifft, hat vor einigen Wochen die „Pharmazeut­ische Zeitung“in einem Grundsatza­rtikel die Dinge klargestel­lt. Unter zahlreiche­n therapeuti­schen Erfolgserl­ebnissen der PPI habe sich ein „liberales Verordnung­sverhalten“ergeben. Die Präparate würden in schätzungs­weise der Hälfte der Fälle ohne zugelassen­e Indikation eingesetzt. Das Blatt schreibt: „Beispielsw­eise bekommen nahezu alle Patienten mit Reizmagen einen PPI“, obwohl diese Substanzen dabei nur „marginal wirksam“seien. Nach Angaben der Barmer Ersatzkass­e bekommen 16 Prozent der Versichert­en einen PPI, im höheren Lebensalte­r sind es sogar 40 Prozent.

Die Theorie, dass PPI Herzinfark­te, Demenz oder Schlaganfä­lle auslösen können, verficht laut einem aktuellen Bericht der „Medical Tribune“nicht: Die unter PPI minimal erhöhte Zahl von Fällen sei als „statistisc­hes Grundrausc­hen“zu bewerten. In manchen Fällen lösen PPI einen Säureschub allerdings erst aus. In jedem Fall wird die kontrollie­rte Langzeitth­erapie mit PPI bejaht, und ein Absetzen sei mit „dosiertem Ausschleic­hen“problemlos möglich.

Gut möglich, dass danach das Sodbrennen und der therapeuti­sche Kreislauf von vorn beginnen.

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