Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Krebsgefahr durch Magensäureblocker?
Die Europäische Arzneimittelagentur hat Medikamente mit dem Wirkstoff Ranitidin wegen Verunreinigungen zurückgerufen. Man habe krebserregende Nitrosamine gefunden. Ein akutes Patientenrisiko bestehe aber nicht.
BONN Was rezeptfrei aus der Apotheke kommt, kann nicht gefährlich sein. So urteilt der gesunde Menschenverstand. Manche Pille konsumiert unsereiner dann in dem Gefühl, sie sei eher nützlich als schädlich. Seit langer Zeit schwebt aber über Magensäurehemmern aus der Gruppe der Protonenpumpenhemmer (etwa dem frei verkäuflichen Pantozol oder Omeprazol) der Verdacht, dass sie als Nebenwirkung andere Krankheiten begünstigen, vor allem wenn sie ohne Verordnung über lange Zeit und in falscher Dosierung eingenommen werden. Fachleute halten dagegen, dass diese angeblichen Nebenwirkungen fast irrelevant seien.
In dieses Klima rund um Medikamente gegen Sodbrennen und die Reflux-krankheit platzt nun eine Bombe. Die Europäische Arzneimittelagentur hat einen anderen Typ von Magensäureblockern wegen potenziell krebserregender Verunreinigungen zurückgerufen. Es handelt sich um Medikamente mit dem Wirkstoff Ranitidin, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BFARM) in Bonn mitteilte. Ranitidin zählt zu den sogenannten H2-antihistaminika. „Ein akutes Patientenrisiko besteht nicht“, hieß es zugleich.
Zurückgerufen wurden alle Chargen von Arzneimitteln, die den vom Hersteller Saraca Laboratories Limited hergestellten Wirkstoff Ranitidin enthalten. Es lägen Indizien vor, dass auch der Wirkstoff weiterer Hersteller betroffen sein könnte, etwa Betapharm, Hexal, 1 A Pharma, ABZ und Ratiopharm.
Es gehe um Verunreinigungen mit sogenanntem N-nitrosodimethylamin (NDMA), besser bekannt als Nitrosamin. In Tierversuchen erwies sich die Substanz als wahrscheinlich krebserregend auch beim Menschen. „Bei einer Aufnahme von sehr geringen Mengen ist keine schädliche Wirkung zu erwarten“, schrieb das Bundesinstitut. Der Rückruf erfolge aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes.
Woher kommen die Verunreinigungen? Der Preisdruck bei sogenannten Generika ist immer größer geworden, weswegen die Pharmafirmen oft im Ausland produzieren lassen, etwa in Indien oder China, wo die Lohnkosten geringer sind. Dort herrschen auch schlechtere Hygiene-standards als hierzulande. Erst im vergangenen Jahr hatten verunreinigte Blutdrucksenker für Wirbel gesorgt. Verunreinigungen mit krebserregenden Substanzen waren in Blutdruckmitteln gefunden worden, die ebenfalls aus dem Ausland kamen. Hierzulande wurden Blutdrucksenker mit dem Wirkstoff Valsartan zurückgerufen. Als Konsequenz wurden weltweit auch andere Arzneimittel untersucht, darunter die ranitidinhaltigen Arzneimittel.
Freilich herrscht kein Grund zur kollektiven Verunsicherung, denn Ranitidin wird längst nicht so häufig verschrieben oder in Apotheken verkauft, seit es Protonenpumpenhemmer (PPI) gibt. Die wirken mit einem anderen Mechanismus und sind in der Gruppe der Magensäurehemmer den Ranitidin-tabletten in der Wirkkraft deutlich überlegen. Beide Medikament-typen sind zwar verschreibungspflichtig, können vom Patienten in kleiner Dosierung ohne Verordnung direkt in der Apotheke gekauft werden.
Was die Debatten um die Protonenpumpenhemmer betrifft, hat vor einigen Wochen die „Pharmazeutische Zeitung“in einem Grundsatzartikel die Dinge klargestellt. Unter zahlreichen therapeutischen Erfolgserlebnissen der PPI habe sich ein „liberales Verordnungsverhalten“ergeben. Die Präparate würden in schätzungsweise der Hälfte der Fälle ohne zugelassene Indikation eingesetzt. Das Blatt schreibt: „Beispielsweise bekommen nahezu alle Patienten mit Reizmagen einen PPI“, obwohl diese Substanzen dabei nur „marginal wirksam“seien. Nach Angaben der Barmer Ersatzkasse bekommen 16 Prozent der Versicherten einen PPI, im höheren Lebensalter sind es sogar 40 Prozent.
Die Theorie, dass PPI Herzinfarkte, Demenz oder Schlaganfälle auslösen können, verficht laut einem aktuellen Bericht der „Medical Tribune“nicht: Die unter PPI minimal erhöhte Zahl von Fällen sei als „statistisches Grundrauschen“zu bewerten. In manchen Fällen lösen PPI einen Säureschub allerdings erst aus. In jedem Fall wird die kontrollierte Langzeittherapie mit PPI bejaht, und ein Absetzen sei mit „dosiertem Ausschleichen“problemlos möglich.
Gut möglich, dass danach das Sodbrennen und der therapeutische Kreislauf von vorn beginnen.