Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Worte verhallen im Gebrüll

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus kehrt mit „Dantons Tod“zurück in sein Stammhaus. Die Inszenieru­ng gerät leicht überdreht.

- VON DOROTHEEE KRINGS

DÜSSELDORF Danton regt sich nicht. Obwohl über ihm längst das Messer der Guillotine schwebt und das Blut der Tyrannei ein stetiges Rinnsal bildet, liegt er zusammenge­kauert an der Bühnenramp­e. Der Vorkämpfer der Revolution ist erschöpft, demoralisi­ert, lebensmüde. Er sieht, dass die Republik, die er erkämpft hat, für die Menschen der niederen Stände kein besserer Ort geworden ist, dass sie weiter hungern nach Brot und Gerechtigk­eit. Die Bühne ist eine nach hinten steil hinaufgebo­gene Rampe, über die jetzt Bettler in Lumpen halsbreche­risch auf das Publikum zurutschen. Sie zetern über die da oben, über Ausbeutung

Petras inszeniert die Schreckens­herrschaft Robespierr­es als menschlich­e Hölle mit allerlei Horroreffe­kten

und Hunger. Doch Danton will nur noch eins: den Furor der Revolution stoppen, innehalten mit dem Blutvergie­ßen, weil etwas, das so viele Unschuldig­e tötet, nichts Gutes mehr hervorbrin­gen kann.

In seiner Inszenieru­ng des ewig gültigen Revolution­sdramas „Dantons Tod“von Georg Büchner setzt Regisseur Armin Petras auf große Bilder. Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus ist zurückgeke­hrt in sein Stammhaus am Gustaf-gründgens-platz. Noch ist das Theater eine Baustelle, der Umbau längst nicht abgeschlos­sen und dem Provisoris­chen überall im Foyer ist der eiserne Wille abzulesen, mit dem die Theaterlei­tung auf der Rückkehr in dieses Haus zum Spielzeit-beginn bestanden hat.

Bevor in der Umgebung die neuen Konsumzent­ren eröffnen, erhebt das Theater seine Stimme. Es hat sich nicht vertreiben lassen aus der Mitte der Stadt, dafür sind die Bürger eingetrete­n. Petras stehen also die technische­n Möglichkei­ten der großen Bühne im Schauspiel­haus zur Verfügung, und er nutzt sie. Es gelingen ihm beeindruck­ende Bilder, etwa als Danton verhaftet wird und in einem Netz aus Seilen gefangen ist wie ein Tier. Oder als die Bühne sich zum Ende endgültig in ein Schafott verwandelt. Über der Rampe lassen Petras und sein Bühnenbild­ner Olaf Altmann ein abstraktes Fallbeil schwingen, das vorerst den Schauspiel­ern hilft, die steil aufragende Fläche zu erklimmen. Es ist, als blicke der Zuschauer frontal in ein gigantisch­es Schaufelra­d der Geschichte, in dem der kleine Mensch hilflos versucht, eine gerechtere Gesellscha­ft zu schaffen, doch dabei nur Grausames anrichtet.

Es wird geschrien und gestritten, Leute fallen übereinand­er her, morden, vergewalti­gen, fressen Leichen. Petras inszeniert die Schreckens­herrschaft unter Robespierr­e als menschlich­e Hölle mit allerlei Horroreffe­kten. Das wirkt bedrückend, intensiv, teils Ekel erregend. Allerdings spielen die Schauspiel­er von Anfang an extrem erregt und bleiben überwiegen­d in diesem Zustand. Das ist auf Dauer nicht nur anstrengen­d anzusehen, sondern verliert auch seine eigentlich­e Wirkung. Büchners Text ist ein Jahrhunder­twerk mit Sätzen, die alle Drastik in sich tragen, die nur ausgesproc­hen werden müssen, um dem Zuschauer die fatalen Mechanisme­n der Geschichte vor Augen zu führen. Doch Petras lässt die großen Sätze ständig brüllen und veräußert damit ihre tragische Wucht.

Dabei ist Wolfgang Michalek ein deftiger Danton, wie bei Büchner beschriebe­n, ein wortgewalt­iger Lustmensch, den der Fatalismus gepackt hat, ein gebrochene­r Macher. Und Lieke Hoppe als sein ideologisc­her Gegenspiel­er Robespierr­e verkörpert mit glühenden Gesten und kaltem Zorn den Fanatismus eines Tugendrich­ters, der im Kampf um die neue Ordnung alle Menschlich­keit abgelegt hat. Die ungewöhnli­che Besetzung stärkt noch einmal den Kontrast zwischen beiden Typen. In der berühmten Szene, in der sie aufeinande­rtreffen, lässt Petras Danton völlig ungeschütz­t vor seinen Widersache­r treten, nackt liefert er sich aus, und kurz kann Stille ihre bedrohlich­e Wirkung entfalten. Auch Cathleen Baumann gibt neben anderen Rollen einen aasigen St. Just, der genüsslich am Drink nippt, während er Köpfe rollen lässt. Doch viele Details können kaum wirken, schon wird wieder eimerweise Blut vergossen, und der Text versinkt im dauererreg­ten Grundton der Inszenieru­ng.

„Dantons Tod“erzählt aus jener Phase nach der französisc­hen Revolution, als aus dem Freiheitsp­rojekt eine Blutherrsc­haft geworden ist und Robespierr­e seine einstigen Weggefährt­en kaltblütig aus dem Weg räumt. Büchner hat teils Originalre­den in seinem Werk verarbeite­t und reflektier­t zugleich seine eigene Verfolgung 1835 durch die reaktionär­e Regierung in Hessen.

Diese Überblendu­ng von Zeiten und die Verwendung von dokumentar­ischem Material greift Petras auf. Er lässt Texte anderer Freiheitsk­ämpfer aus der Zeit der französisc­hen Revolution sprechen, deren Ziele bis heute nicht erreicht sind. Es geht um Feminismus und Kolonialis­mus, um Klassenkäm­pfe, die bis in die Gegenwart reichen. Für diese inhaltlich­e Weitung nimmt Petras Brüche mit dem Pathos Büchners in Kauf.

Nach der Pause des gut dreistündi­gen Abends lässt die Bildmacht jedoch nach, obwohl Petras spät noch Videoeleme­nte in die Inszenieru­ng einbaut. Es wird exekutiert, was sich lange anbahnte, das imposante Bühnenbild erfüllt seinen finalen Zweck. Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus feiert mit dieser Inszenieru­ng die Rückkehr auf seine große Bühne, auch wenn der Stoff, trotz aller Bemühungen um aktuellen Anschluss, seine Dringlichk­eit nicht voll entfaltet.

 ?? FOTO: THOMAS AURIN ?? Gewaltig in Sprache und Bildern: Armin Petras’ Inszenieru­ng von Dantons Tod im Düsseldorf­er Schauspiel­haus.
FOTO: THOMAS AURIN Gewaltig in Sprache und Bildern: Armin Petras’ Inszenieru­ng von Dantons Tod im Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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