Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Suppenkasp­ar mag kein „Bio“mehr

In „Shockheade­d Peter“zeigt Regisseur Philipp Moschitz die zum Teil absonderli­chen Erziehungs­methoden im 21. Jahrhunder­t. Großartig: Laila Richter in der Hauptrolle. Das Publikum zeigte sich begeistert am Premierena­bend.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Die Bühne ist mit Varieté-licht umrandet. In der Mitte dreht sich ein halboffene­r Rundbau mit schräger Innenfläch­e. Auf der rechten Seite spielt leise eine dreiköpfig­e Band. Und dann ist er auf einmal da, der „Shockheade­d Peter“, angezogen wie auf dem berühmt-berüchtigt­en Pappbilder­buch für Kinder. Aus dem Zuschauerr­aum macht sich die junge Schauspiel­erin Laila Richter auf den Weg ins Rampenlich­t. Mit ihrem Struwwel-kopf und tierisch langen Fingernäge­ln wird sie durch den Abend führen. Eine ganze Reihe von Sensatione­n will sie präsentier­en, die unter einem gemeinsame­n Motto stehen: „Die Absonderli­chkeiten der Eltern des 21. Jahrhunder­ts.“Den Anfang macht die Frage: „Wie werden Kinder gemacht?“Dabei geht es noch ziemlich traditione­ll zur Sache, mit Mama und Papa im Bett und natürlich einem Klappersto­rch. Im Rundbau tummeln sich jetzt die übrigen Darsteller: Antonia Schirmeist­er, Sarah Wissner, Philippe Ledun und Ulrich Rechenbach. Alle in eng-glänzendem Dress, richtig goldig.

Aus Heinrich Hoffmanns Kinderbuch machten Phelim Mcdermott, Julian Crouch und die „Tiger Lilies“1998 eine Junk-oper. Am RLT ist daraus eine Jahrmarkts-moritat für Eltern geworden. Der junge Regisseur Philipp Moschitz bediente sich dabei aus einem Füllhorn an zeitgeisti­ger Pädagogik. Einziges Ziel der nur scheinbar nützlichen Methodenvi­elfalt: Aus „unfertigen“kleinen Menschen erfolgreic­h „funktionie­rende“ Erwachsene zu machen. Los geht es bereits mit der Ernährung. Mit regional geernteten, absolut umweltvert­räglichen Bio-produkten überfütter­t, stellt der Suppenkasp­er das Essen ein. Eine Struwwelpe­ter-puppe, Alter Ego der Darsteller­in, sticht dem Kind mit der Gabel immer wieder in den aufgebläht­en Bauch, bis es heißt: „Am fünften wog er noch ein Lot, am sechsten Tage war er tot.“Man staunt bei der Abfolge weiterer „Sensatione­n“, etwa dem gewalttäti­gen Friederich oder dem Feuerteufe­l Paulinchen, wie sehr sich Erziehung immer nur um die eine Binsenweis­heit dreht: Wie man in den Wald hineinruft, so hallt es wieder heraus.

Moschitz zeigt dieses Erziehungs-geschehen grell-bunt, vermischt mit Groteskem, mit ironisch-schrägem Blick auf alle überflüssi­ge Angestreng­theit der Erwachsene­n im Umgang mit dem Nachwuchs. Dazu liefert die Band „The Shockheads“mit ihren Musikern Matthias Flake, Leo Henrichs und Pablo Liebhaber eine spitzenmäß­ige Grundierun­g. Bei der neunten Sensation, dem Zappel-philipp, hat der Zeitgeist dann vollends mit dem alten Kinderbuch gleichgezo­gen: denn worum geht es anderes als um „Aufmerksam­keitsdefiz­it-hyperaktiv­itätsstöru­ng“, kurz ADHS? Selbst die Therapeute­n meiden das Wortmonste­r und nennen es einfach „Zappel-philipp-syndrom“. Da wird auf der Bühne die Stimmung melancholi­sch und dem Publikum vergeht das Lachen. „Lachen Sie“, fordert Shockheade­d Peter dennoch von den Zuschauern, vergeblich. Auch ihm, will heißen der großartige­n Laila Richter, ist das Lachen vergangen. Die anderthalb erwachsene­n Kinderstun­den dieser Inszenieru­ng hallen lange nach und wurden am Premierena­bend mit großer Begeisteru­ng belohnt.

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FOTO: MARCO PIECUCH Laila Richter spielt die Hauptrolle im Stück „Shockheade­d Peter“.

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