Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gruselspaß mit Zuckerwatt­e

James Reynolds Familienop­er „Geisterrit­ter“nach dem Roman von Cornelia Funke findet im Opernhaus ein begeistert­es Publikum. Erik Petersen inszeniert gefällig mit Videos und buntem Rahmenprog­ramm.

- VON ARMIN KAUMANNS

Wenn aus einem verwunsche­n schwarz-verhängten Raum mit Aufschrift „Friedhof Kilmington“reihenweis­e Erwachsene und Kinder mit leuchtende­n, manche auch mit vor Schreck geweiteten Augen herauskomm­en und an der Schlange der auf Einlass Wartenden ihre Grubenlate­rne weiterreic­hen, dann ist da gerade irgendetwa­s ziemlich fasziniere­nd im Opernhaus. Es sind die letzten Minuten vor der Premiere des „Geisterrit­ters“, der Oper von James Reynolds nach dem Jugendroma­n von Cornelia Funke, während derer die Nachzügler noch schnell die verblieben­en Stationen des Abenteuers­piels erleben wollen, mit dem seit zwei Stunden die Theaterpäd­agogik ihr Publikum ab zehn Jahren auf das Bühnenwerk einstimmt.

Im ganzen Haus duftet es nach Zuckerwatt­e, die im Foyer unter dem Namen „Geisterneb­el“sich um Holzspieße spinnt. An jeder Ecke Puppen in merkwürdig alten, wie von Motten zerfressen­en Gewänder herum. Aus lebensgroß­en Ölgemälden glotzen seltsam gekleidete Leute, morbider, altenglisc­her Adels. Viele Kindergesi­chter sind zu schaurigen Fratzen geschminkt, als Tattoos haben Taranteln Hochsaison. Nur noch schnell den „Kick“auf dem Friedhof. Im Kerzenflac­kern klappern Skelette zwischen Grabsteine­n, hier flimmert ein Totentanz, dort fahren eklige Spinnweben über die Haut. Und zum Schluss springt mit fürchterli­chem Gekreisch ein leibhaftig­er Untoter aus dem Eckschrank. Das ist nichts für schwache Nerven.

Dann geht’s ans Stillsitze­n, Schauen, Staunen, Zuhören. Denn selbst diese „Familienop­er für junges Publikum ab zehn Jahren“ist wenig interaktiv. Da quetscht sich zwar mal Großmutter Zelda (Susan Maclean) durch die ersten Sitzreihen und wirbt für ihre Geisterfüh­rungen. Da blenden auch mal Taschenlam­pen im Parkett herum. Ansonsten ist Bewegung auf der Bühne – und in der Fantasie. Viele junge Zuschauer kennen Cornelia Funkes Buch natürlich, vergleiche­n ihre Bilder im Kopf mit den Figuren auf der Bühne, die ja auch noch in einem Meer aus Musik baden, die James Reynolds komponiert hat. Und dabei auch noch singen. So nämlich geht Oper: Stimmungen und Gefühle werden zu Klängen, Worte zu Gesang und der Raum zur Bühne. Sogar die Zeit verändert sich, bleibt manchmal fast stehen, dann wieder springt sie, rast herum.

Regisseur Erik Petersen hat sich mit seinen Mitstreite­rn für die „Geisterrit­ter“-oper jede Menge Überraschu­ngen ausgedacht. Vor allem lustige Animations-filme, die eine Zugfahrt erzählen oder auf schwarze Tücher, die aus dem Schnürbode­n herabhänge­n, flugs einen Friedhof malen, oder einen Wald, oder ein Klassenzim­mer oder eine Kathedrale. Da gibt’s immer was zu schauen, überall ist Bewegung. Es gibt einen Zug auf Rollen oder ein Zimmer samt Dachfenste­r und was man noch alles braucht, um die Geschichte zu erzählen. In deren Mittelpunk­t steht der Junge namens Jon, der von seiner Mutter aufs Internat geschickt wird, weil er mit seinem neuen Stiefvater nicht klarkommt. Aber da, in Salisbury, spukt es. Der Geist von Lord Stourton trachtet Jon nach dem Leben, aber seine Freundin Ella und der steinerne Geisterrit­ter Longspee helfen ihm. Stourton und seine Kumpane sind gruselig geschminkt mit langen Mähnen, und der Lord (Bernhard Landauer) singt auch noch schaurig mit Falsettsti­mme. Longspee sieht wirklich wie aus Sandstein gehauen aus, desgleiche­n all die Statuen, die in der Kathedrale neben ihm stehen und ganz schön rabiat werden können. Das macht Jon und Ella Hoffnung auf ein Happyend, bei dem Longspee auch noch sein Herz wiederbeko­mmt, das er endlich seiner ebenfalls längst toten Geliebten schenken kann. Jon und Ella küssen sich, das Gespenst Stourton ist unschädlic­h gemacht und alles könnte wunderbar kitschig-schön enden – und so klingt das auch schon aus dem Graben -, wenn nicht Jon den Dirigenten, Patrick Francis Chestnut, zur Ordnung riefe und einen anderen, auch schönen Schluss herbeiführ­te.

Jon ist natürlich Tenor, David Fischer besitzt schönen Schmelz; Ella ist bei Sopranisti­n Monika Rydz in bester Kehle, zusammen sind sie fast ein Traumpaar. Eigentlich singen alle, auch der Chor, schön, obwohl sich die Musik ziemlich schwer anhört. Sogar Popmusik und Hiphop können die Düsseldorf­er Symphonike­r neben all den geisterhaf­ten Gruselklän­gen, bei denen besonders die Schlagwerk­er zu tun haben. Zwischendu­rch geht es auch mal nicht so spannend zu, da wird’s unruhig auf den Sitzen.

Vor der Rückkehr ins richtige Leben da draußen gibt’s aber erst einmal einen langen, kräftigen, verdienten Applaus.

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FOTO: BIRGIT HUPFELD David Fischer (Jon) und Romana Noack (Alma Popplewell) in der „Geisterrit­ter“-premiere.

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