Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn der Krieg beim Fußball mitspielt

- VON ALEV DOGAN

ANALYSE Die türkische Nationalel­f hat mit einem Militärgru­ß in Richtung der Soldaten in Nordsyrien salutiert. Erdogans innenpolit­isches Kalkül geht auf, der äußere Feind lenkt von innenpolit­ischen Debakeln ab – und zwei Deutsche machen mit.

ISTANBUL Hin und wieder müssen, wenn die Umstände es verlangen, Verallgeme­inerungen herhalten. In diesem Sinne: Was Deutsche von Türken unterschei­det, ist unter anderem ihre Beziehung zum Militär. Und das hat auch mit der salutieren­den türkischen Nationalma­nnschaft, mit Emre Can und Ilkay Gündogan zu tun.

Hierzuland­e hat man ein schwierige­s Verhältnis zu seinen Streitkräf­ten. Sich allzu sehr für Heer, Luftwaffe und Marine zu begeistern, macht verdächtig. Diese komplizier­te Beziehung hat ihre Gründe. Seit der Ns-zeit gehört es zum kollektive­n Gedächtnis, dass die deutschen Soldaten im Zweifel nicht die Guten waren. Das zeigt sich auch im Umgang der Gesellscha­ft mit ihrem Militär.

Die Türkei hingegen ist ein Land, das trotz mehrerer Militärput­sche kaum enger mit seiner Armee verwoben sein könnte. Die Soldaten sind für die türkische Mehrheitsg­esellschaf­t der Garant staatliche­r Souveränit­ät, und zwar nicht nur im Verteidigu­ngsfall, sondern auch, weil sie an der Gründung der Republik maßgeblich beteiligt waren. Nach dem Ersten Weltkrieg stand das bereits angezählte Osmanische Reich vor seinem Ruin, und seine Fläche sollte unter den Siegermäch­ten Griechenla­nd, Frankreich, Großbritan­nien und Italien aufgeteilt werden. Es folgte ein Unabhängig­keitskrieg von 1919 bis 1923, aus dem eine Republik nach westlichem Vorbild hervorging. Der Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk war ein General, das Militär ist in die türkische Geschichte eingegange­n als Befreier von ausländisc­hen Mächten und als Wahrer der territoria­len Souveränit­ät.

Der Einmarsch nach Nordsyrien ist, so zynisch das klingen mag, aus innenpolit­ischer Sicht der klügste Schachzug des Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan seit Langem – auf kurzfristi­ge Sicht zwar, aber das scheint ihm zu reichen. Der Einmarsch lenkt von den innenpolit­ischen Debakeln vergangene­r Monate ab und schwächt die Gegner. Die opposition­ellen Säkularen und Kurden, CHP und HDP, haben vor Kurzem noch zusammenge­arbeitet. Doch so unmöglich es jetzt für die türkischen Kurden ist, den Einmarsch nach Nordsyrien zu tolerieren, so unmöglich scheint es der in der Tradition ihres Gründers Atatürk stehenden CHP, sich gegen das Militär zu stellen. Denn unabhängig davon, wie völkerrech­tswidrig der Einmarsch nach Nordsyrien ist, Erdogan zufolge geht es um die Bekämpfung von Terroriste­n, des syrischen Ablegers der PKK.

Dieses Narrativ versetzt die türkische Bevölkerun­g in eine schizophre­ne Situation. Auch Gegner Erdogans können nicht umhin, dem Militär Unterstütz­ung zuzusagen – aus historisch gewachsene­n, aber auch existenzie­llen Gründen. 735.000 Männer und Frauen stellen die türkischen Streitkräf­te. Jeder kennt irgendwen beim Militär. Auch deswegen sprechen fast alle Akteure aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesel­lschaft ihre Unterstütz­ung für die kämpfenden Soldaten aus. Auch jene, die gegen den Einmarsch sind, haben Söhne, Brüder und Freunde, die nun an der Front stehen. Ihnen die Unterstütz­ung zu verweigern, käme nach türkischer Logik Landesverr­at gleich – denn der Soldat kann ja nichts für den Einsatz.

Vor diesem Hintergrun­d war das Salutieren nach dem Tor gegen Albanien nicht unbedingt ein politische­s Zeichen, das man gleichsetz­en kann mit der Unterstütz­ung für die Entscheidu­ng, in Nordsyrien einzumarsc­hieren. Es war ein Symbol der Unterstütz­ung an die eingesetzt­en Soldaten. Man muss den Einsatz nicht gut finden, um trotzdem zu hoffen, dass so wenig Soldaten wie möglich fallen. Gleiches gilt auch für die Deutschen Ilkay Gündogan und Emre Can, die das Foto ihrer salutieren­den türkischen Fußball-kollegen in den sozialen Netzwerken mit einem „Like“versahen, dies später aber auf medialen Druck hin wieder zurückzoge­n. Die Erklärung der beiden, dass sie keine politische Stellungna­hme abgeben wollten, ist nicht so abstrus, wie sie zunächst klingt.

Sie zeugt zwar gerade im Fall Gündogans von bemerkensw­erter Instinktlo­sigkeit, hätte er doch nach dem Debakel um das Foto mit Erdogan 2018 gelernt haben müssen, welche Erwartunge­n Deutschlan­d an seine Nationalsp­ieler stellt. Ihm aber die Verherrlic­hung eines Kriegseins­atzes vorzuwerfe­n, geht an der Sache vorbei. Es sind komplexere Mechanisme­n, die hinter Bildern stecken, die auf den ersten Blick ganz klar sind.

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FOTOS: DPA Die türkische Nationalma­nnschaft am Freitag beim Spiel gegen Albanien (l.), türkische Soldaten salutieren an der syrischen Grenze.

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