Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Weinbauern mitten in Paris
Im Stadtzentrum der Metropole gibt es fünf kleine Weinberge – im Herbst dürfen alle bei der Lese helfen. Rund 40 Euro kostet ein halber Liter des Rotweins vom Montmartre, das Geld kommt sozialen Projekten in der Stadt zugute.
PARIS Jean Taiel freut sich das ganze Jahr auf diesen einen Tag im Herbst. Am frühen Morgen schnürt er seine festen Schuhe, zieht sich eine wasserdichte Jacke über und geht den kurzen Weg von seiner Wohnung im 19. Pariser Arrondissement durch den Park von Belleville zum Weinberg. Wobei die Bezeichnung Weinberg die Sache nicht ganz trifft. Ungefähr 500 Quadratmeter misst die Fläche, eher ein „mikro-vignoble“– ein „Mikro-weinberg“, sagt Taiel.
Der Endfünfziger arbeitet als Controller bei einer Softwarefirma, doch nun darf er sich für kurze Zeit als Weinbauer fühlen. Mit rund einem Dutzend anderer Erntehelfer, die alle aus der Nachbarschaft stammen, macht er sich an die Lese der Trauben. Jeder bekommt eine Gartenschere und eine kleine Plastikwanne in die Hand gedrückt. Nach knapp einer Stunde sind die Reben leer und die Behälter voll. „Es ist aber jedes Mal ein schönes Erlebnis“, sagt Taiel, „wir arbeiten hier zusammen, reden miteinander und man fühlt sich wie in der freien Natur – es hat etwas Archaisches.“
Fünf dieser „Mikro-weinberge“gibt es in der Innenstadt von Paris, mehr als zwei Dutzend verschiedene Rebsorten werden hier kultiviert, vor allem Pinot noir und Gamay. Der berühmteste und mit 1800 Reben auch der größte befindet sich direkt am Montmartre, wenige Schritte unterhalb der Basilika Sacré-coeur.
Es heißt, dass schon die Äbtissinnen von Montmartre im Mittelalter hier Wein gekeltert hätten. Weil die Einfuhr von Wein nach Paris damals strengen Auflagen unterlag, entwickelte sich der Weinort Montmartre vor den Toren der Stadt zum Ausgehdorf. Überaus lustig soll es dort zugegangen sein, bevor der Hügel 1860 Teil der ausufernden Metropole wurde. Später zog das kleine Städtchen auf dem Montmartre zahlreiche Künstler an, um deren ausufernden Weingenuss sich bis heute allerlei Mythen ranken.
Hubert Jossinet scheint ein bisschen neidisch auf die schönen Geschichten, die sich rund um den Wein am Montmartre erzählt werden. Seit 2007 ist er im Auftrag der Stadt zuständig für den Park von Belleville und damit auch für den kleinen Weinberg, der sich zwischen alten Bäumen und schmalen Wegen sachte an den Hang schmiegt.
An diesem Morgen haben sich auch zwei Gruppen aus einem nahen Kindergarten eingefunden, um den Großstädtern bei der Weinlese zuzusehen. „Wir bringen den Kindern damit auch ein Stück Natur nahe, das in der Großstadt ansonsten völlig verloren geht“, beschreibt Hubert Jossinet auch den pädagogischen Auftrag, den die Stadt mit dem Anbau des Weines erfüllen will.
Die Kinder dürfen die Trauben auch probieren. In allen fünf Pariser Weinbergen kommebei der Bekämpfung von Schädlingen keine chemischen Mittel zum Einsatz, erklärt Jossinet. Alle Pflanzen würden gegen Mehltau und Pilze nur mit natürlichen Substanzen wie Kupfer und Schwefel behandelt.
„Bei uns hier wird schon seit gallo-römischen Zeiten Wein angebaut“, sagt Jossinet. Der Boden sei dazu geradezu ideal. Im Gegensatz dazu gilt der Rebensaft vom Montmartre als saurer Tropfen. Allerdings sei die Qualität des Weins in diesem Jahr wohl in allen fünf Pariser Weinbergen überdurchschnittlich: „Nach dem Hitzesommer sind die Trauben fleischig, prall und optimal reif.“
Die eher schwankende Qualität des Rebensafts tut zumindest dem Preis des Montmartre-weins keinen Abbruch. Rund 1500 Flaschen werden dort jedes Jahr produziert, versehen mit kunstvollen Etiketten, die bei Sammlern und Touristen sehr beliebt sind. Das hat seinen Preis: Rund 40 Euro muss man für eine Halbliterflasche „Clos de Montmartre“bezahlen – bei Versteigerungen auch deutlich mehr. Das Geld ist allerdings gut angelegt. Der Verkaufserlös aller fünf Weinberge kommt sozialen Projekten in der Stadt zugute.