Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Brexit-sorgen setzen Börsen unter Druck
Prunkvoll eröffnet die Queen das Parlament. Sie gibt mit dem Verlesen der Johnson-erklärung den Auftakt für eine turbulente Woche.
LONDON Die stockenden Verhandlungen für einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der EU haben zu Wochenbeginn für Katerstimmung bei europäischen Anlegern geführt. Der Dax schloss 0,2 Prozent tiefer auf 12.486 Punkten. Der Eurostoxx50 verlor 0,4 Prozent auf 3554 Punkte. Der britische Premierminister Boris Johnson wollte am Abend Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Eu-kommissions-chef Jean-claude Juncker von seinen Brexit-plänen überzeugen. Allerdings hatten sowohl die Regierung in London als auch die EU zuvor betont, es liege noch viel Arbeit vor ihnen – so etwas bremst die Euphorie der Anleger.
Am Mittag erfüllte Queen Elizabeth II. eine ihrer vornehmsten Aufgaben. Sie bestellte ihre Leibgarde ein, fuhr in ihrer vergoldeten Staatskutsche sechsspännig die kurze Strecke vom Buckingham Palast zum Palast von Westminster und proklamierte dort den Beginn einer neuer Sitzungsperiode des Parlaments mit der Verlesung der „Queen‘s Speech“, ihrer Thronrede. Fast jeden Satz begann die Königin in ihrer hohen Stimme mit „Meine Regierung wird...“, aber der Eindruck täuscht. Natürlich hatte nicht sie die Thronrede geschrieben, sondern Premier Johnson. Die Thronrede ist eine Regierungserklärung, die das legislative Pensum für die nächsten zwölf Monate vorstellt.
Johnsons Programm umfasst 26 neue Gesetzesvorhaben. Im Zentrum stehen „Law and Order“-maßnahmen. Sexual- und Gewalttäter sollen strengere Strafen bekommen und auch Angriffe auf Polizisten sollen härter geahndet werden. Ausländische Straftäter, die trotz Abschiebung ins Königreich zurückkehren, müssen ebenfalls für deutlich längere Zeit hinter Gitter. Die Innenministerin Priti Patel will zudem ein Gesetz einbringen, das die bisher unbegrenzte Immigration von Eu-bürgern abschafft und ein nach dem australischem Punktesystem gestaltetes Einwanderungsregime einführt.
Die Thronrede hat keine Aussichten, in der gerade beginnenden Parlamentssession umgesetzt zu werden. Denn Boris Johnson hat im Unterhaus keine Mehrheit. Mehr als 40 Stimmen fehlen ihm, nachdem er eine Reihe von Parteifreunden, die gegen seinen harten Brexit-kurs rebellierten, aus der Fraktion geworfen hat. Die Ansetzung einer Thronrede ermöglichte Johnson jedoch, das Parlament in eine viertägige Sitzungspause schicken zu können. Zudem sind jetzt die nächsten fünf Sitzungstage für die Debatte des Regierungsprogramms vorgesehen und erlauben daher der Opposition nicht, in dieser Zeit Initiativen gegen Johnsons Brexit-kurs zu beginnen. Wahlen sind unvermeidlich, die Frage ist lediglich, wann sie stattfinden.
Mit der Parlamentseröffnung beginnt eine dramatische Woche in der britischen Politik. Bis zum Mittwochabend muss sich entscheiden, ob ein Brexit-deal möglich ist, der dann auf dem Brüsseler Eu-gipfel, der am Donnerstag beginnt, abgesegnet werden könnte. Nach dem Treffen von Johnson mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varakar kam am letzten Freitag Hoffnung auf: Man sehe, hieß es von den beiden, „einen Pfad zu einem möglichen Deal“. Zur Zeit finden Verhandlungen unter Hochdruck in Brüssel statt, doch ob es noch bis Mittwochabend zu einer endgültigen Einigung kommt, ist fraglich.
Sollte der Eu-gipfel einen Deal beschließen, will ihn Johnson am kommenden Samstag im Parlament zur Wahl stellen. Es wäre die erste Samstagssitzung des Hohen Hauses seit dem Falkland-krieg. Das Parlament will sicherstellen, dass es zu keinem ungeregelten Austritt am 31. Oktober kommen wird, indem Johnson, sollte er keinen Deal bekommen, gezwungen wird, um eine Fristverlängerung bitten. Auch Pläne für ein zweites Referendum über den Eu-austritt werden zur Zeit von Abgeordneten geschmiedet. In der Labour-partei verschieben sich in dieser Hinsicht die Gewichte. Während Parteichef Jeremy Corbyn auf seiner Position beharrt, ein erneutes Referendum erst nach Neuwahlen abzuhalten, melden sich immer mehr Mitglieder des Schattenkabinetts zu Wort, die lieber vor Neuwahlen eine Lösung des Brexit-dramas durch ein zweites Plebiszit sehen wollen.