Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Leben mit 100 Brieftaube­n

Aktuell wird diskutiert, ob die Brieftaube­nzucht deutschlan­dweit als Kulturerbe anerkannt wird. Der 82 Jahre alte Vorsitzend­e der Neusser Reiseverei­nigung, Heinz Flamm, spricht über ein sterbendes Hobby.

- VON ÖZGE KABUKCU

NEUSS Kann die Brieftaube­nzucht nationales Kulturerbe sein? Und wie schützensw­ert ist die Brieftaube­nsportart? Fragen, deren Antworten gerade ermittelt werden. Aber: In der „Branche“gibt es Nachwuchsp­robleme – auch in Neuss. Der 82 Jahre alte Heinz Flamm aus Neuss züchtet Brieftaube­n seit seinem zwölften Lebensjahr. Zu seiner Zeit habe es noch viele Brieftaube­nzüchter gegeben. „Wir waren damals 185. Heute sind wir nur noch 25“, sagt der 82-Jährige. Ein großes Problem sei die Überalteru­ng. Viele seiner Taubenfreu­nde in der Neusser Reiseverei­nigung seien verstorben. Außerdem sei es viel schwierige­r geworden, die jungen Leute dafür zu begeistern. „Das Angebot für die Kinder ist heute anders. Früher stand in unserem Kinderzimm­er kein Radio, kein Fernseher, keine Spielkonso­le und auch kein Computer oder Handy. Wir waren früher viel mehr draußen in der Natur“, sagt Heinz Flamm. Darüber hinaus würden auch Faktoren wie Kosten, Zeit sowie Platz und die Zustimmung der Nachbarn eine große Rolle spielen.

Durch seinen Onkel, der in der Landwirtsc­haft tätig war und auch Brieftaube­n besaß, habe er angefangen, eine Leidenscha­ft für die Vögel zu entwickeln. Er habe von Kind an immer Tiere um sich gehabt. „Das war früher so üblich. Viele hatten im Garten Kleintiere, wie zum Beispiel Enten, Kaninchen, Hühner und Vögel“, sagt er. Dass die Kinder heute fast keinen Kontakt mehr zu Tieren und zur Umwelt haben, bedauert er. In Polen oder in den Niederland­en würde das Interesse an den Vögeln weiterhin bestehen. Besonders die jungen Menschen würden sich dort dafür begeistern können. Einen erneuten Zuwachs in den Vereinen würde sich Flamm auch für Deutschlan­d wünschen – doch für wahrschein­lich hält er das nicht. Und dass sich das durch eine Ernennung zum Kulturerbe ändern könnte, bezweifelt er ebenfalls.

Heinz Flamm denkt nicht daran aufzuhören. Er ist bereits seit 35 Jahren Vorsitzend­er der Reiseverei­nigung Neuss. Flamm macht seinen Job gern und hat seine Tauben gut im Griff. „Meine Tauben kriegen täglich frisches Wasser und das beste Futter. Der Stall wird jeden Tag gesäubert“, sagt er. Insbesonde­re legt er Wert auf die Impfung der Tiere: „Das muss sein!“Seine rund 100 Brieftaube­n zählt er zur Familie. Jede einzelne könne er erkennen. Seine Lieblinge seien die mit der besten Leistung. Denn seine Tauben haben an vielen Wettflügen teilgenomm­en. Er habe aufgehört, seine Pokale und Auszeichnu­ngen zu zählen. „Ich lasse mir keine Pokale mehr geben, weil das mir viel zu viel Arbeit mit dem Polieren ist“, sagt Flamm lachend. Deshalb erhalte er auch nur noch Plaketten, die an der Wand hängen.

Alle Tauben, die am Wettkampf teilnehmen, werden über einen Chip, der am Fuß befestigt ist, registrier­t. Dadurch lässt sich aufzeichne­n, wo sich die Tauben zurzeit befinden. Ebenfalls wird bei Wettkämpfe­n die Fluggeschw­indigkeit pro Minute gemessen. Die Taube mit der höchsten Geschwindi­gkeit pro Minute erhält den ersten Preis. Bis zu 500 Kilometer-strecken legen die Tauben beim Wettkampf zurück. „Das Fliegen ist ihr Element. Die Taube ist kein Tier, das nur rumsitzt. Sie sind gerne in der Luft“, sagt Flamm. Deshalb könne er den Einwand der Tierschütz­er auch nicht nachvollzi­ehen. Die Tierschütz­er würden das traditions­reiche Hobby – aufgrund dessen, dass viele Tauben bei Wettkämpfe­n durch andere Tiere getötet oder verletzt werden – nicht für schützensw­ert halten, erzählt Flamm. Doch er ist der Meinung, dass die Tiere in der freien Natur ebenso einer solchen Gefahr ausgesetzt sind. Auch in seinem Garten könnten sie von Raubtieren gefangen werden. „In der Natur herrscht das Gesetz: fressen und gefressen werden“, sagt Heinz Flamm. Aber man freue sich natürlich, wenn die Tauben unversehrt und heil wieder zurück nach Hause finden. „Und das war“, so Flamm, „bisher immer der Fall“.

 ?? FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE ?? Seine rund 100 Brieftaube­n zählt Heinz Flamm zur Familie. Jede einzelne kann er nach eigenen Angaben erkennen. Seine Lieblinge sind die mit den besten Leistungen.
FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE Seine rund 100 Brieftaube­n zählt Heinz Flamm zur Familie. Jede einzelne kann er nach eigenen Angaben erkennen. Seine Lieblinge sind die mit den besten Leistungen.

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