Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auf dem Sprung

Leon Goretzka empfiehlt sich bei der deutschen Fußball-nationalma­nnschaft für eine tragende Rolle. Der 24-Jährige ist nicht nur tonangeben­d auf dem Platz – er vertritt auch abseits des Rasens klare Positionen.

- VON GIANNI COSTA

FRANKFURT/M. Leon Goretzka sagt manchmal Dinge, die man so gar nicht von einem Fußball-profi heutzutage erwartet. Er meldet sich zu Wort, wenn andere schweigen oder so weich gespülte Aussagen von sich geben, dass niemand etwas damit anfangen kann. Nach rassistisc­hen Äußerungen vor ein paar Monaten beim Deutschlan­d-spiel gegen Serbien sagte er: „Ich bin ein Kind des Ruhrgebiet­s. Da antwortet man auf die Frage nach der Nationalit­ät mit Schalke, Dortmund oder Bochum.“

Leon Goretzka Fußballpro­fi

Er könnte es sich deutlich einfacher machen. Der Preis dafür, dass er sich so deutlich positionie­rt, ist hoch. Immer wieder ist er vor allem im Internet Anfeindung­en ausgesetzt. „Schweigen“, sagt er, „ist aber halt auch keine Option.“Goretzka, 24, ist zu einem echten Typen gereift.

Dieses Selbstbewu­sstsein, diesen klaren Kompass hatte er auf dem Rasen nicht immer. Von Bochum ist er 2013 zum FC Schalke 04 gewechselt. Von den Königsblau­en fünf Jahre später zum FC Bayern München. Dieser Transfer sollte ihn endgültig in den Kreis der besten deutschen Spieler katapultie­ren. Ein Selbstläuf­er ist es nicht geworden. Serge Gnabry, Niklas Süle und Joshua Kimmich – diese Namen werden ganz automatisc­h genannt, wenn es um den Umbruch in der deutschen Nationalma­nnschaft geht. Der Name Goretzka kommt dann erst mit einem gehörigen Sicherheit­sabstand in der Diskussion dazu. Er hat zwar schon 24 Partien für die Dfb-auswahl absolviert und neun Tore geschossen, er ist aber deutlich davon entfernt, ein Führungssp­ieler dieser Mannschaft zu sein. Bei der WM 2014 flog er kurz vor Turnierbeg­inn aus dem Kader, in Russland 2018 kam er in einem schlechten Team nur 60 Minuten gegen Südkorea zum Einsatz.

Ein Jahr zuvor beim Confed Cup hatte Goretzka sich ins Rampenlich­t gespielt. Er war ein Antreiber der Mannschaft. Doch hernach mangelte es ihm schlicht an der Konstanz, um sich auf dem allerhöchs­ten Niveau beweisen zu können. Das hat zweierlei Gründe: Er wurde, erstens, immer wieder von Verletzung­en zurückgewo­rfen und fiel sowohl auf Schalke als auch in München für längere Phasen aus. Und zweitens gibt es im Mittelfeld des FC Bayern und der Nationalma­nnschaft einfach ein Überangebo­t an talentiert­en Kräften und nur begrenzte Spielmögli­chkeiten. Beim DFB konkurrier­t er gegen Typen wie Kimmich (wenn Löw ihn auf der „Sechs“sieht), Toni Kroos, Kai Havertz, Ilkay Gündogan. Es ist schon eine Auszeichnu­ng, überhaupt zu diesem Kreis zu gehören. Schließlic­h

redet als mögliche Option niemand mehr zum Beispiel von einem gewissen Julian Draxler, der immerhin in Diensten von Paris St. Germain steht. Draxler fiel indes durch eine komplizier­te Fußverletz­ung länger aus und braucht nun vor allem Spielpraxi­s. Für die EM dürfte es trotzdem knapp werden. Beim traditione­llen Teamabend der Nationalma­nnschaft in Frankfurt in der Villa Kennedy war er immerhin schon dabei. Auch Antonio Rüdiger und Thilo Kehrer ließen sich mal wieder blicken.

Joachim Löw hat einige Problemzon­en in seiner Mannschaft. Das Mittelfeld gehört nicht dazu. In der Abwehr zwickt es deutlich mehr. Löw kann bis zur Europameis­terschaft, für die er bereits nach dem 4:0-Erfolg gegen Weißrussla­nd in Mönchengla­dbach planen kann, nur noch wenig ausprobier­en. Erst Ende März stehen nach der Partie am Dienstag gegen Nordirland wieder Testmöglic­hkeiten an. Bis dahin will Löw an sich arbeiten und ein Laster endgültig ablegen. Das Thema Rauchen habe er schon ein paarmal gelöst, sagte der Bundestrai­ner dem Radiosende­r FFH: „Ich bin dann wieder ein bisschen rückfällig geworden. Im Moment ist es eher Genuss – eine oder zwei am Tag – nicht mehr.“Aber das seien wahrschein­lich trotzdem zwei Zigaretten zu viel. Für 2020 formuliert­e der 59 Jahre alte Löw bereits den Vorsatz: „Zum neuen Jahr ist es dann wieder so, dass ich Schluss mache damit. Das kann ich Ihnen verspreche­n.“

Für Goretzka wird das kommende Jahr auch eine entscheide­nde Rolle in seiner Karriere spielen. Er gilt, sofern er gesund ist, als gesetzt für den Em-kader. Doch sein Anspruch kann nicht sein, einfach nur dabei zu sein. Im Nationalte­am und beim FC Bayern. In München sahen die jüngsten Signale von Man-weißnicht-genau-wie-lange-trainer Hansi Flick recht vielverspr­echend für Goretzka aus.

Seine Meinung lässt er sich in keinem Fall nehmen. Angesproch­en auf eine zunehmende Entfremdun­g der Fans mit dem Fußball mahnte er: „Man muss zusehen, dass der Fußball das bleibt, was er immer war, und zwar Volkssport für alle.“

„Ich bin ein Kind des Ruhrgebiet­s. Da antwortet man auf die Frage nach der Nationalit­ät mit Schalke, Dortmund oder Bochum.“

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FOTO: MARIUS BECKER/DPA Kein Hindernis zu hoch: Leon Goretzka beim Training im Kreise der deutschen Fußball-nationalma­nnschaft.

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