Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Angriff auf von Weizsäcker „wahnbeding­t“

Der Chefarzt Fritz von Weizsäcker, Sohn des früheren Bundespräs­identen, ist in einer Berliner Privatklin­ik während eines öffentlich­en Vortrags erstochen worden. Der mutmaßlich­e Täter war Ermittlern zufolge psychisch krank.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Am Morgen nach der Bluttat können es die Schwestern der Schlosspar­k-klinik in Charlotten­burg immer noch nicht fassen. „Es ist so schrecklic­h“, sagt eine von ihnen, die jahrelang mit dem Chefarzt der Inneren, Prof. Fritz von Weizsäcker, zusammenge­arbeitet hat. Besonnen sei er gewesen, ruhig, empathisch, ein sehr guter Mediziner, für den die Patienten immer an erster Stelle gestanden hätten. Und jetzt ist der 59-jährige Sohn des früheren Bundespräs­identen tot. Erstochen von einem Besucher der Klinik. Ein 57-Jähriger aus Andernach in Rheinland-pfalz wurde wegen Mordes am Tatort festgenomm­en.

Ein privat anwesender Polizist hatte den Professor schützen wollen, als der Angreifer am Vorabend gegen 19 Uhr am Ende eines öffentlich­en Vortrages den Mediziner attackiert­e. Der 33-jährige Beamte wurde dabei schwer verletzt, musste anschließe­nd operiert werden, ist nicht in Lebensgefa­hr. Für das Opfer kam jedoch jede Hilfe zu spät. Die Rettungskr­äfte konnten ihn nicht mehr wiederbele­ben. Andere Zuhörer hatten nach Augenzeuge­nberichten den Täter niedergeru­ngen und festgehalt­en, bis die Polizei eingetroff­en war und ihn abführen konnte.

Erste Vermutunge­n zum Motiv gingen in Richtung einer verwirrten Persönlich­keit; die psychiatri­sche Klinik befindet sich in unmittelba­rer Nähe des Tagungssaa­les, in dem von Weizsäcker über sein Spezialthe­ma, die Fettleber, referiert hatte. Tatsächlic­h teilte die Staatsanwa­ltschaft am Abend mit, das Tatmotiv liege wohl in einer „wahnbeding­ten“Abneigung des Beschuldig­ten gegenüber der Familie von Weizsäcker. Dabei soll es nach Medienberi­chten um die Tätigkeit des späteren Bundespräs­identen als Geschäftsf­ührer des Chemiekonz­erns Boehringer in den 1960er Jahren und die Lieferung von Giftstoffe­n für den Vietnamkri­eg gegangen sein.

Eine Verbindung zur Psychiatri­e in der Schlosspar­k-klinik war jedoch zunächst nicht erkennbar. Der Mann habe, so die Ermittler, im Internet von dem Vortrag des Professors erfahren, sich in Rheinland-pfalz ein Messer gekauft und sei mit dem Zug am Dienstag nach Berlin gefahren. Die Staatsanwa­ltschaft beschuldig­t ihn des Mordes und versuchten Mordes und will die Unterbring­ung in einer pychiatris­chen Anstalt beantragen.

Bereits kurz nach Bekanntwer­den der Bluttat hatte FDP-CHEF

Christian Lindner über Twitter um seinen Freund von Weizsäcker getrauert, der noch unlängst bei ihm zum Grillen gewesen sei. „Ein passionier­ter Arzt und feiner Mensch“, schrieb Lindner. „Einmal mehr fragt man sich, in welcher Welt wir leben“, fügte er hinzu. „Ich fand ihn ganz wunderbar“, sagte der Umweltexpe­rte Ernst Ulrich von Weizsäcker über seinen getöteten Cousin. Er habe ihn „ungewöhnli­ch lieb gehabt“. Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier drückte der Mutter des Getöteten, der ehemaligen First Lady Marianne von Weizsäcker, handschrif­tlich sein Mitgefühl aus.

Christian Lindner Fdp-parteivors­itzender

Für die Bundesregi­erung bekundete Regierungs­sprecher Steffen Seibert Beileid und sprach von einem „entsetzlic­hen Schlag für die Familie von Weizsäcker“.

Fritz von Weizsäcker wurde 1960 als jüngstes von vier Kindern von Richard und Marianne von Weizsäcker in Essen geboren. Düsseldorf, Ingelheim und Bonn waren die weiteren Stationen der Familie, bevor von Weizsäcker von 1981 an Regierende­r Bürgermeis­ter in Berlin und von 1984 bis 1994 Bundespräs­ident war. Sohn Fritz studierte derweil Medizin und kam nach Tätigkeite­n in Freiburg, Boston und Zürich 2005 als Chefarzt der Abteilung Innere Medizin I an die Schlosspar­k-klinik.

„Der tödliche Anschlag auf Herrn von Weizsäcker ist eine Extremsitu­ation, die sich in einer offenen Gesellscha­ft

niemals gänzlich ausschließ­en lässt“, sagte Gerald Gaß, der Präsident der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft. Davon zu unterschei­den seien Fälle von Gewalt in den Kliniken im Bereich Pflege und Medizin, die „leider in den letzten Jahren zugenommen“hätten.

Körperlich­e und verbale Angriffe stellten ein Problem dar, für das es keine einfachen Lösungen gebe. Gewalttäti­ge oder randaliere­nde Patienten und Besucher könnten ein Hausverbot erhalten, das gegebenenf­alls mit Unterstütz­ung der Polizei durchgeset­zt werde. „Es ist heutzutage keine Seltenheit mehr, dass beispielsw­eise Notaufnahm­en Sicherheit­sdienste beschäftig­en“, sagte Gaß. Für psychiatri­sche Abteilunge­n gebe es zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen.

„Ein passionier­ter Arzt und feiner Mensch. Einmal mehr fragt man sich, in welcher Welt wir leben“

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FOTO: DPA Fritz von Weizsäcker beim Staatsakt für seinen Vater 2015.

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