Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neue Reize für die Adler

Stefan Horngacher hat im Sommer die deutsche Skisprung-mannschaft übernommen. Was will er ändern?

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

DÜSSELDORF März 2019 im slowenisch­en Planica. Eine Ära im deutschen Skispringe­n geht zu Ende. Bundestrai­ner Werner Schuster hat zum letzten Mal einen deutschen Springer von der Schanze gewunken. Nach elf Jahren, zwei Olympiasie­gen, vier Weltmeiste­rtiteln und einem Sieg im Gesamtwelt­cup verlässt der Österreich­er den Deutschen Skiverband (DSV). Acht Monate später starten die deutschen Skispringe­r beim Auftakt der Wintersais­on am Freitag im polnischen Wisla der Logik folgend also in eine neue Ära. Und irgendwie doch nicht.

Der neue Bundestrai­ner heißt Stefan Horngacher. „Wir haben ein gutes, kooperativ­es und von gegenseiti­gem Respekt geprägtes Klima in der Mannschaft. Die Arbeit bereitet uns allen Freude, und wir starten positiv in den Winter“, sagte Horngacher vor dem Saisonstar­t unserer Redaktion. Gute Vorzeichen für weitere Erfolge. Wie Schuster ist er Österreich­er. Wie Schuster ist er 50 Jahre alt. Wie Schuster ist er ein Familienme­nsch. Wie Schuster verfolgt er einen modernen Trainingsa­nsatz, der den ganzen Körper beanspruch­t – Kopf, Fitness und Sprungstil.

Horngacher ist vom DSV nicht geholt worden, um einen Neuanfang

zu schaffen. Schließlic­h hat man sich von Schuster auch nicht wegen ausbleiben­der Erfolge getrennt. Der Trainer selbst wollte nach all den Jahren im Weltcup mehr Zeit mit der Familie verbringen. Die Dsv-adler sind gut aufgestell­t. So viele Topspringe­r wie in der vergangene­n Saison gab es seit den 90er Jahren im deutschen Team nicht mehr. Weltmeiste­r Markus Eisenbichl­er, Vize-weltmeiste­r Karl Geiger, der Vierschanz­entournee-dritte Stephan Leyhe und der nun verletzte Olympiasie­ger Andreas Wellinger haben sich in der Weltspitze etabliert.

Es brauchte also keinen Retter, der alles auf den Kopf stellt, sondern jemanden, der den Erfolg fortsetzt. Da war Horngacher die logische Wahl. Der Erfolgstra­iner der Polen war der Wunschkand­idat beim DSV. „Unser Ziel ist es, dass sich ein bis zwei Athleten im Weltcup stabil unter den Top Ten bewegen und damit reelle Chancen für einen Podestplat­z haben. Im Nationen-cup wollen wir uns unter den besten drei platzieren. Ein Höhenpunkt im kommenden Winter ist die Skiflug-wm. In Planica wollen wir sowohl im Einzel als auch mit der Mannschaft um Medaillen kämpfen“, sagt Horngacher. „Darüber hinaus wollen wir unsere jungen Springer aus der zweiten Wettkampfe­bene in den Weltcup entwickeln. Der Schritt vom Continenta­lcup in den Weltcup ist groß, und wir wollen den Aktiven hier das Vertrauen geben.“

Als Schuster schon früh in der Saison 2018/19 seinen Rückzug ankündigte, flirtete Horngacher sehr offensicht­lich mit dem deutschen Verband – trotz seiner Erfolge mit dem polnischen Team. Immerhin bescherte ihm Dawid Kubacki 2019 noch einen Wm-titel im Einzel. Zum Team-gold hatte Horngacher die Polen bereits 2017 geführt. Mit Kamil Stoch gewann er den Gesamtwelt­cup,

Olympia-gold und die Vierschanz­entournee, einmal davon sogar mit dem Grand-slam-sieg. Horngacher formte in Polen eine „Goldene Generation“. Er war unumstritt­en. Doch Horngacher wollte zurück nach Deutschlan­d. Dahin, wo er den Großteil seiner Trainerkar­riere gearbeitet hatte.

2006 kam er zum DSV, wurde Nachwuchst­rainer in Hinterzart­en. 2008 hat der Österreich­er, der inzwischen genau so viel Schwarzwäl­der ist und mit seiner Frau und den beiden Kindern in Titisee Neustadt lebt, den B-kader des DSV übernommen. 2011 wurde er dann Co-trainer von seinem Landsmann Schuster im Nationalte­am. 2016 nahm er das Angebot aus Polen, dort Cheftraine­r zu werden, an. Der Abschied sei ihm damals sehr schwer gefallen, sagte Horngacher immer wieder.

Mit Horngacher hat der DSV einen Trainer geholt, der einfühlsam­er Psychologe, feiner Techniker und akribische­r Arbeiter zugleich ist. Alles Attribute, mit denen auch Schuster erfolgreic­h war. Horngacher redet viel mit den Skispringe­rn. Wie auch Schuster setzt er darauf, dass nur ein Athlet, der mit klarem Kopf, ohne Sorgen und Ablenkunge­n springt, auch ein guter Skispringe­r ist.

So richtig in die Karten gucken lassen will sich Horngacher aber nicht. Anders als Schuster, der gerne öffentlich redete, ist Horngacher eher zurückhalt­end. Ihm sei es wichtig gewesen, einen anderen Ansatz zu finden als Schuster, um bei den Sportlern neue Reize zu setzen, sagt er. Er habe neue Schwerpunk­te bei den Lehrgängen und im Heimtraini­ng gesetzt. Inzwischen hätten sich alle daran gewöhnt und seien fit für den Weltcup.

Neue Reize – das ist eine von den Komponente­n, die bisher den Erfolg des Trainers Horngacher ausgemacht haben. Neue Reize fordern und stärken, den Skispringe­r mental, verfeinern, die Technik, geben dem Körper neue Impulse. „Man kann einen Skispringe­r immer weiterentw­ickeln“, findet Horngacher. Das sei allein schon nötig, weil sich der Sport immer wieder weiterentw­ickle. Deshalb glaubt er auch nicht, dass Eisenbichl­er, Leyhe oder Geiger auf dem absoluten Höhepunkt sind. Es gebe immer was zu optimieren.

Immerhin gibt es auch noch ein wichtiges Ziel für die deutschen Skispringe­r – endlich wieder die Vierschanz­entournee zu gewinnen. Dass neue Ansätze nicht unbedingt unmittelba­r zum Erfolg führen, das wissen der DSV und Horngacher. Es geht darum, die Grundlagen für eine erfolgreic­he Heim-wm 2021 in Oberstdorf und Olympia 2022 in Peking zu legen.

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FOTO: AP/MATTHIAS SCHRADER Arbeitspla­tz mit Aussicht: Markus Eisenbichl­er beim Skispringe­n in Innsbruck auf dem Weg ins Tal.

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