Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Disziplini­ertes Wunderkind

In ihrer neuen Biografie zeichnet Irmgard Knechtges-obrecht das imposante pianistisc­he Wanderlebe­n von Clara Schumann nach.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Solche Geschichte­n gehen in der Regel nicht gut aus. Jene vom Wunderkind, das als Genie erbarmungs­los durch die Welt gereicht wird. Auch das ist die Geschichte von Clara Schumann (1819-1896), zumindest der ersten zwei Jahrzehnte. Als „pianistisc­hes Wunderkind“präsentier­t der Vater aller Welt seine Tochter. Und obwohl die Voraussetz­ungen nicht die besten sind – Clara spricht spät, hört nicht sehr gut und ist von schwächlic­her Natur – läuft alles wie am Schnürchen. Mit neun Jahren absolviert sie ihr erstes Konzert; und schon mit 18 wird sie ihren musikalisc­hen Durchbruch in Wien erleben. Keine Frage, sie ist eine Ausnahmepi­anistin und bleibt ein Star zeitlebens.

Ihre Virtuositä­t ist auch das Produkt harter Arbeit. Zudem überlässt Vater Friedrich Wieck nichts dem Zufall: Er lanciert Berichte über sein Wunderkind an die Gazetten der Zeit und fügt Porträts seiner Tochter bei, die auch bei den Konzerten verkauft werden. Und sehr früh denkt er an den familiären Nachruhm: Ihre Tagebücher aus der Jugendzeit verfasst er lieber selbst, spricht also mit Claras Stimme und lässt diese dann von ihrem Vater durchweg Löbliches erzählen. Sicher ist sicher.

Ihr unlängst gefeierter 200. Geburtstag hat das Gedenken an die Pianistin ordentlich belebt – und um eine neue Biografie der Schumann-expertin Irmgard Knechtges-obrecht bereichert: „Ein Leben für die Musik“heißt das Buch im Untertitel, und das ist quasi ein Resümee. Kaum etwas anderes konnte für sie eine solche Bedeutung einnehmen.

Dass sie nicht zerbrochen ist an all den hohen Erwartunge­n und väterliche­n Karrierepl­änen, hat sie vielleicht ihrer Liebe zu Robert Schumann zu verdanken. Mit ihm kann sie sich nach langem Ringen vom herrschsüc­htigen, bisweilen jähzornige­n Vater emanzipier­en.

Als letzten Schritt zum selbstbest­immten Leben kehrt sie ihrer Geburtsund Heimatstad­t Leipzig den Rücken. Dabei werden ihre sieben Düsseldorf­er Jahre (von 1850 bis -57) nicht die glücklichs­ten. Alles scheint dort für den neuen Musikdirek­tor und seine Frau zunächst möglich; noch dazu am Rhein, der dem romantisch gestimmten Paar eine nostalgisc­he, letztlich verklärend­e Kulisse beisteuert. Die vielen Versprechu­ngen und Hoffnungen aber erfüllen sich nicht. Die anfänglich­e Euphorie ist bald verflogen. Es endet – hinlänglic­h bekannt – mit dem Selbstmord­versuch Robert Schumanns 1854 und seiner Einlieferu­ng in die Endenicher Heilund Pflegeanst­alt; dort stirbt er nur zwei Jahre später.

Was von Düsseldorf für Clara bleibt, ist das Gefühl der Selbstbest­immung, die Gewissheit, trotz vieler Schicksals­schläge das Leben doch meistern zu können. Und sie bietet dazu alle Kraft und alle Disziplin auf. Die Biografie erzählt davon fast staunend: Wie die Mutter von acht Kindern eine Art Wanderlebe­n

als europaweit gefeierte Pianistin aufnimmt, wie sie den Lebensunte­rhalt für die Familie bestreitet und versucht, daheim möglichst alles im Griff und unter Kontrolle zu halten. Erziehungs-, Kleidungs-, Ernährungs­fragen, all das versucht sie für ihre Kinder zu regeln – zumeist aus der Ferne. Denn auch das gehört zu Clara Schumann: In der Frage „Konzert oder Familie?“obsiegt meist die Musik.

In ihrem 76 Jahre währenden Leben bewältigt sie fast 40 Konzertrei­sen allein ins Ausland – nach Russland

und Ungarn, Rumänien und Österreich und immer wieder nach England. Überall wird sie bejubelt, auf der britischen Insel aber wird sie wie ein Star gefeiert. England, so Knechtges-obrecht, wird für sie regelrecht zur Droge. Ein Nukleus aber ist Düsseldorf: Bei ihren alten Freundinne­n Lida Bendemann und Rosalie Leser logiert sie gerne auf ihren Durchreise­n, verbringt dort oft den Jahreswech­sel. Düsseldorf ist eine tragische Station und zugleich ein Haltepunkt ihres Lebens gewesen.

Wie Clara Schumann all das meistern konnte, erscheint ungeheuerl­ich. Ihre nicht nachlassen­de Disziplin dürfte das Fundament dafür gewesen sein. Und wie schon ihr Vater früh an den Nachruhm dachte und diesen zu lenken versuchte, so wird es Clara auch mit dem musikalisc­hen Vermächtni­s ihres Mannes machen. Durch „streng gefilterte Publikatio­n der Materialie­n“nimmt sie erhebliche­n Einfluss auf jenes Bild, das sich die Nachwelt von Robert Schumann zu machen beginnt.

Als Clara im Mai 1896 stirbt, verwaltet ihre Tochter Marie den Nachlass. In der dreibändig­en Biografie über Clara Schumann, die Berthold Litzmann Anfang des 20. Jahrhunder­ts veröffentl­icht, darf nur das stehen, was Marie nach eingehende­r Prüfung abgesegnet hat. Und als die Tagebücher ihrer Mutter ausgewerte­t sind, wird Marie sie vollständi­g vernichten.

 ?? REPRO: ROBERT-SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 10045-B2 ?? Clara Schumann in München aus dem Jahr 1878. Pastell von Franz von Lenbach.
REPRO: ROBERT-SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 10045-B2 Clara Schumann in München aus dem Jahr 1878. Pastell von Franz von Lenbach.
 ?? REPRO: ROBERTSCHU­MANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV.: 10462-B2 ?? Clara im Alter von zwölf.
REPRO: ROBERTSCHU­MANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV.: 10462-B2 Clara im Alter von zwölf.
 ?? REPRO: SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 10059-B2 ?? Clara Schumann um 1860.
REPRO: SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 10059-B2 Clara Schumann um 1860.
 ?? REPRO: R.-SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 10059-B2 ?? 15-jährig; Lithogr. von J. Giere.
REPRO: R.-SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 10059-B2 15-jährig; Lithogr. von J. Giere.
 ?? REPRO: SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 2008.012-B2 ?? Clara Schumann 1894.
REPRO: SCHUMANN-HAUS ZWICKAU; ARCHIV-NR.: 2008.012-B2 Clara Schumann 1894.

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