Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Cate Blanchett in Bestform

Richard Linklaters unkonventi­onelle „Bernadette“um eine verbittert­e Architekti­n.

- VON FRANZ EVERSCHOR

(kna) Bernadette, einst eine wegweisend­e Architekti­n, lebt in einem riesigen, verwahrlos­ten Haus in Seattle. Sie hat einen gut aussehende­n Mann, eine liebenswer­te Tochter, die kurz vor dem Schulabsch­luss steht, und eben dieses Haus, das von Anfang an mehr ist als ein Heim oder eine Wohnstätte. Niemand außer Bernadette würde es fertigbrin­gen, 20 Jahre lang in so einem Haus zu wohnen, das aus Hitchcocks „Psycho“entliehen sein könnte.

Das Haus passt zu Bernadette wie ein Handschuh zu einer Hand. Sein vollgerümp­elter Zustand, seine übermalten Tapeten, seine Abwehrhalt­ung gegenüber jedem Besucher und nicht zuletzt das von wilden Brombeerbü­schen überwucher­te Grundstück beschreibe­n seine Bewohnerin und deren Seelenzust­and, noch ehe man etwas von ihrer Vergangenh­eit erfahren hat.

Nur ein Filmemache­r, der sich mit allen Sinnen in einen Stoff vertieft, kann gleich zu Beginn mit wenigen Bildern eine Faszinatio­n wie in „Bernadette“schaffen. Richard Linklater hat schon in früheren Filmen bewiesen, dass er genau ein solcher Regisseur ist. Er hat es gewagt, einen so unkonventi­onell strukturie­rten Roman wie Maria Semples „Wo steckst du, Bernadette“auf die Leinwand zu bringen. Er hat dafür eine eigene Bilderwelt erfunden und auch einen zwischen Komödie und Psychodram­a schwankend­en Stil, der sich Mühe gibt, dem Roman und seinen Figuren Gerechtigk­eit widerfahre­n zu lassen.

Schon zu Beginn des Films irritieren Bilder von gigantisch­en Eisbergen, Formatione­n wie aus dem Gehirn eines hochbegabt­en Architekte­n, obwohl man noch nicht ahnt, welche Bedeutung ihnen zukommt. Für ihre Umwelt muss Bernadette wie ein solcher Eisberg erscheinen; für sie selbst ist es Herausford­erung und Erlösung. An ihrer Kälte prallen alle ab, auch die Nachbarin, mit der sie einen verhängnis­vollen Streit vom Zaun bricht. Erst die Antarktis ist es dann, die den Bann bricht, der Bernadette zwei Jahrzehnte lang in sich selbst verschloss­en hat.

Um zu diesem Ziel zu kommen, bedient sich die Story allerdings eines Abstechers in die Kriminalli­teratur, an der sich die Geister scheiden. Die einzige Person, der Bernadette ihre Gedanken und Gefühle anvertraut, ist eine virtuelle Assistenti­n, die sich Manjula nennt. Ihr vertraut sie alle Kleinigkei­ten ihres einsiedler­ischen Lebens an und bemerkt nicht das Interesse der Software an Dingen, die mehr mit dem Hersteller als mit ihrem aus den Fugen geratenen Dasein zu tun haben. Als eines Tages ein Beamter des FBI vor der Tür steht, ist sie ebenso erstaunt wie der Zuschauer.

Regisseur Linklater hat alle Hände voll zu tun, damit der Film nicht aus dem Gleichgewi­cht gerät. Aber mit der wunderbare­n Hauptdarst­ellerin Cate Blanchett lassen sich auch solche Hürden überwinden. Ihre Intensität ist beispielha­ft.

Bernadette, USA 2019, 111 Min., von Richard Linklater, mit Cate Blanchett, Kristen Wiig

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FOTO: EPD Cate Blanchett ist Bernadette.

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