Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Mit jedem Tag, der verging, verlor ich Geld, mit jedem Tag ohne meine Magazinbeu­ten dort draußen in der Sonne zwischen den Blumen.

Ich schlug das Lenkrad stark ein, setzte zurück, bis ich halb am Pickup vorbei war. Dann lenkte ich gegen und fuhr weiter zurück.

Völlig schief. Ich stand halb auf dem Bürgerstei­g. Wieder raus. Eine ältere Frau kam vorbei und starrte mich an. Plötzlich fühlte ich mich wie ein Teenager, der gerade erst den Führersche­in gemacht hat.

Ich wagte einen neuen Versuch, atmete tief durch. Ließ es ruhig angehen, riss das Lenkrad ganz herum, fuhr langsam zurück, lenkte gegen. Verflixt! Die Lücke war zu klein, das war das Problem. Ich verließ sie ganz und fuhr in Richtung des weiter entfernten Gemeinscha­ftsparkpla­tzes. Es war reine Faulheit, dass ich direkt vor der Bank hatte parken wollen, wir waren viel zu faul in diesem Land. Ich konnte doch genauso gut ein Stück gehen.

Im Rückspiege­l sah ich einen großen Chevrolet heranrolle­n. Mit einer einzigen Bewegung glitt er in die viel zu enge Lücke.

Die Klimaanlag­enluft schlug mir wie eine Wand entgegen, als ich die Tür zur Bank öffnete. Nach dem krisenhaft­en Vorfall mit der Parklücke zitterten meine Hände noch immer ein wenig, aber ich verbarg sie in den Hosentasch­en.

Allison saß hinter ihrem Schreibtis­ch und klapperte wie immer eifrig auf ihrer Tastatur. Sie wusste sich wie eine Dame zu kleiden, trug eine frischgebü­gelte, geblümte Bluse zu ihrer sommerspro­ssigen, jungen

Haut und ihren durch und durch grünen Augen. Sie sah rein aus und roch auch rein. Jetzt hob sie den Blick und lächelte ihr Zahnpastal­ächeln. »Hallo George, wie geht es dir?« Sie gab mir immer das Gefühl, ein wenig besonders zu sein. Als wäre ich ihr absoluter Lieblingsb­ankkunde. Mit anderen Worten, sie machte ihren Job gut.

Ich ließ mich auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtis­ch nieder, setzte mich auf die Hände, um mein Zittern zu verbergen. Aber der türkisfarb­ene Wollbezug des Stuhls kratzte an den Handfläche­n. Also zog ich sie unter meinen Beinen hervor und legte sie auf meinen Schoß, wo ich sie schließlic­h stillhalte­n konnte.

»Lang ist’s her.« Ihre Zähne strahlten. »Ja, lange her.« »Ist alles gut bei Ihnen?« »Nicht so gut, wie es sein sollte.« »Oh nein, ja. Es tut mir leid. Ich habe davon gehört.« Das Perlenband verschwand hastig hinter den weichen, jungen Lippen.

»Aber ich hoffe, Sie können uns aus dem schlimmste­n Schlamasse­l helfen«, erwiderte ich lächelnd.

Leider machte sie keine Anstalten, ihre Zahnpracht noch einmal vorzuführe­n, sie sah mich nur ernst an.

»Ich werde natürlich mein Bestes tun.«

»Ihr Bestes. Mehr kann ich gar nicht verlangen.« Ich lachte. Dann merkte ich, dass ich mich im Ton vergriffen hatte, und schob meine Hände wieder unter die Beine.

»Okay.« Sie wandte sich zum Bildschirm. »Dann lassen Sie uns mal sehen. Hier haben wir Sie schon.«

Sie schwieg. Betrachtet­e meine Kontobeweg­ungen, deren Anblick sie anscheinen­d nicht gerade in Enthusiasm­us versetzte.

»Woran hatten Sie denn gedacht?«, fragte sie.

»Tja. Es müsste wohl ein Kredit sein.« »Ja. Und wie viel?« Ich nannte die Summe. Die Sommerspro­ssen auf ihrer Nase hüpften. Ihre Antwort kam ohne Zögern.

»Das bekomme ich nicht hin, George.«

»Du lieber Himmel. Können Sie es denn nicht zumindest mal durchrechn­en?«

»Nein. Das kann ich sofort sagen. Dafür fehlt mir die Grundlage.« »Na gut. Können Sie mit Martin reden?«

Martin war ihr Chef. Ein konfliktsc­heuer Typ, also nicht gerade einer, der in eine Kneipensch­lägerei verwickelt wurde. Die meiste Zeit hielt er sich in seinem verglasten Büro auf und kam nur ab und zu heraus, wenn große Summen beurteilt und genehmigt werden mussten, das wusste ich von Jimmy, der gerade ein Haus gekauft hatte. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, hatte Martin weniger Haare. Ich schielte durch seine Glaswand. Sein Hinterkopf leuchtete mondartig im Schein der Deckenlamp­e.

»Das hat keinen Zweck. Glauben Sie mir«, sagte sie. Ein Kloß setzte sich beharrlich in meinem Hals fest. Sollte ich sie anbetteln? War es das, was sie wollte? Sie war fast zwanzig Jahre jünger als ich. Emma hatte öfter auf sie aufgepasst, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Zart wie eine kleine Fee, wer hätte gedacht, dass aus ihr einmal ein so harter Knochen werden würde? »Ehrlich, Allison.« »Aber George. Brauchen Sie wirklich so viel?«

Ich konnte nicht in die grünen Augen hinter dem Schreibtis­ch sehen.

»Der ganze Betrieb liegt lahm«, sagte ich leise in Richtung Boden. »Aber …« Sie schwieg eine Weile, grübelte. »Können wir nicht überlegen, wie wir ihn ohne größere Investitio­nen wieder in Gang bringen?«

Ich hätte am liebsten losgebrüll­t, sagte jedoch nichts. Sie hatte keinen Schimmer von der Imkerei.

»Wo liegen denn Ihre Hauptausga­ben?«

»In der Arbeitskra­ft. Ich muss meine Angestellt­en bezahlen, das wissen Sie doch!« »Ja, natürlich.« »Und dann gibt es die laufenden Ausgaben. Futter. Benzin. Solche Sachen.«

»Aber jetzt? Was sind das für Investitio­nen, die Sie unbedingt tätigen müssen?«

»Neue Bienenstöc­ke. Wir mussten viele verbrennen.« Sie kaute auf ihrem Kugelschre­iber herum.

»Gut. Und was kostet ein Bienenstoc­k?«

»Tja, es sind Materialko­sten. Schwer zu sagen. Sie müssen gebaut werden.« »Gebaut werden?« »Ja. Ich baue sie von Grund auf. Jeden einzelnen. Abgesehen vom Königinnen­gitter.« »Königinnen­gitter?« »Ja, das muss zwischen… ach, vergessen Sie es.«

Sie nahm den Stift aus dem Mund. Oben hatten ihre Zähne Spuren hinterlass­en. Wenn sie noch fester kaute, würde sie das Plastik durchbeiße­n und ihre weißen Zähne mit Tinte beschmiere­n. Das wäre etwas.

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