Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Krise könnte Kliniken in Insolvenz treiben
Klinik-chef Paul Neuhäuser spricht über die Corona-situation und das Hilfspaket von Jens Spahn. Vorbereitet auf Corona-patienten
Es ist eine gute Woche her, dass Sie das von Gesundheitsminister Jens Spahn vorgestellte Hilfspaket für Kliniken in der Corona-krise als „Schlag ins Gesicht“kritisiert haben. Inzwischen wurde nachgebessert. Wie beurteilen Sie es jetzt? PAUL NEUHÄUSER Es ist gut, dass die Kritik zu Nachbesserungen führte. Nach wie vor sind nicht alle Forderungen der Kliniken erfüllt worden. Insbesondere die Sicherung der Liquidität der Krankenhäuser, aber auch aller anderen Einrichtungen für alte, kranke und behinderte Menschen, bleibt eine der großen Herausforderungen. Aber wir vertrauen auf die Zusage von Herrn Spahn, das Hilfspaket bei Bedarf anzupassen.
Welche Korrekturen hätten Sie sich noch gewünscht? NEUHÄUSER Ein radikaler Abbau der überbordenden Bürokratie wäre sinnvoll. Allein eine Patientenentlassung bedeutet 30 Minuten Dokumentation – bei einem Krankenhaus wie dem Johanna Etienne sind das mehr als 10.000 Stunden im Jahr! Wir brauchen unsere Teams am Patienten, nicht hinter Aktenbergen.
In Ihrer Stellungnahme sagten sie auch, Spahn lasse die Kliniken „ausbluten“. Sehen Sie diese Gefahr nach wie vor? NEUHÄUSER Wir haben derzeit eine schizophrene Situation: Die Akutkrankenhäuser bereiten sich mit aller Kraft darauf vor, für einen exponentiellen Anstieg der Covid-19-patienten gerüstet zu sein. Wir wissen, dass der Engpass im Bereich der Intensivmedizin, insbesondere im Bereich der Beatmung, liegen wird. Gleichzeitig ist die Versorgung aller anderen Patienten, die nicht notfallmäßig behandelt werden müssen, stark eingeschränkt. Würden zu viele Behandlungen weit in die Zukunft verschoben, könnte dies zu einem regelrechten „Behandlungsberg“führen.
Wie haben sich die Krankenhäuser der St.-augustinus-gruppe auf die Corona-pandemie vorbereitet? NEUHÄUSER Wir arbeiten eng mit allen federführenden Behörden zusammen und halten soviel Intensivkapazität wie möglich bereit. Wir verzichten auf planbare Operationen, die Intensiv- und Beatmungskapazität erfordern. Und wir bereiten unsere Mitarbeiter auf die Covid-19-behandlung vor.
Sollten die Zahlen der schwer Erkrankten exponentiell steigen – wie schnell können Sie reagieren?
NEUHÄUSER Innerhalb weniger Stunden können wir die Intensivund Beatmungskapazitäten verdoppeln. Unser gesamtes Unternehmen ist auf den Krisenmodus umgestellt. Teilweise haben wir ehemalige Mitarbeiter aus dem Ruhestand oder aus der Elternzeit angeschrieben. Wir tun alles, was wir können.
Es ist also die „Ruhe vor dem Sturm“. Werden Sie diese Verluste wieder auffangen können? NEUHÄUSER Das ist zurzeit, ehrlich gesagt, nicht vorstellbar. Wir mussten die Kapazitäten in den Krankenhäusern um 30 bis 50 Prozent herunterfahren. Jeder Tag mit leeren Op-sälen und Stationsbetten bedeutet einen enormen Verlust, der – trotz des Krankenhaus-rettungsschirms – nur zum Teil erstattet werden soll. Das können wir uns als gemeinnützige Gmbhs, die ohnehin nicht auf große Gewinne ausgerichtet sind, sondern immer sparen und spitz rechnen müssen, eigentlich gar nicht leisten.
Wie gut sind die Kliniken hinsichtlich Schutzausrüstung und Masken ausgestattet? NEUHÄUSER Da muss ich unseren Teams aus Einkauf und Logistik – wie übrigens allen Mitarbeitern im Unternehmen – ein dickes Lob aussprechen: Sie haben perfekt geplant, uns gut bevorratet und kümmern sich rund um die Uhr um weiteren Materialnachschub. Die Situation am Markt ist sehr angespannt. Beispielsweise haben Schutzmasken für den klinischen Gebrauch inzwischen einen bis zu 80-fachen Preis.
Es gibt bereits Kliniken, die Kurzarbeitergeld beantragt haben, weil sie nicht wirtschaftlich arbeiten können. Wie sieht es bei Ihnen aus?
NEUHÄUSER Die Krankenhäuser leiden, weil noch zu viele finanzielle Risiken auf sie abgewälzt wurden. Corona könnte bundesweit sogar etliche in die Insolvenz treiben – nicht nur somatische Krankenhäuser, sondern auch psychiatrische oder Reha-kliniken. Die erleben deutliche Absagen von Patienten, die Angst haben, sich anzustecken.
Gibt es bereits Unternehmensbereiche, die von Kurzarbeit betroffen sind? NEUHÄUSER Passiert ist dies schon bei der Savita mit ihren Sport- und Rehabilitationsangeboten. Erstmals in der Geschichte der St.-augustinus
Zahlen Im Johanna-etienne-krankenhaus gibt es drei Patienten mit Covid-19, im Krankenhaus Neuwerk in Mönchengladbach liegen sechs Patienten mit Covid-19 (Stand: 30. März). In einem Seniorenhaus in Viersen gibt es eine Bewohnerin mit bestätigter Diagnose. Todesfälle Eine Covid-19-patientin ist in Neuwerk gestorben. Weitere Todesfälle gibt es in den Einrichtungen der St.-augustinus-gruppe bislang nicht.
Warum ist das Unternehmen Savita von Kurzarbeit betroffen? Was sind die Gründe? NEUHÄUSER Die Sportflächen wurden per Erlass geschlossen, und viele Menschen sagen ihre Physio-therapie oder Massage ab. Wir sind zwar sicher, dass die Reha-sportler nach der Corona-krise wiederkommen und bieten aktuell sogar Live-video-übertragungen für den Sport an. Aber die Zeiten sind extrem hart. Umso mehr gilt mein Respekt allen, die derzeit wirklich alles geben und füreinander einstehen. Das macht mich dankbar und stolz.