Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Immungesunde sterben nicht an Corona“
Der Leiter des Instituts für Immunologie an der Uniklinik der RWTH Aachen erklärt, wie man seine Abwehrkräfte am besten stärkt.
Ein gutes Immunsystem ist momentan der beste Schutz gegen eine Infektion mit Corona. Aber es ist auch unabhängig davon wichtig, oder? LOTHAR RINK Ohne Immunsystem können Sie nicht überleben. Kinder mit einem angeborenen schweren Immundefekt sterben innerhalb des ersten Lebensjahres. Nun ist Corona glücklicherweise, was die Sterblichkeit angeht, nicht so gefährlich. Betroffen sind vorrangig nur Risikogruppen und ältere Menschen. Letztere aufgrund des schwächeren Immunsystems, weil sich das im Alter abbaut. Das Immunsystem kann einfach nicht mehr genug Barrieren aufbauen.
Man braucht also ein starkes Immunsystem. RINK Ein zu starkes Immunsystem ist auch nicht gut. Tatsächlich beschäftigen wir uns in der Medizin mehr mit Immunkrankheiten als mit -defekten. Eine Allergie etwa ist auch eine Fehlregulation ihres Immunsystems, weil es zu stark auf etwas Harmloses reagiert. Bei richtig fiesen Influenzaviren, also der echten Grippe, sind zum Beispiel auch junge Leute betroffen oder welche mit extrem hohem Bodymass-index – dies gilt auch für Corona, sehen wir auf unserer Intensivstation –, weil diese durch die Übergewichtigkeit wieder Immundefizite aufweisen. Eine überschießende Immunreaktion kann alle Organe versagen lassen. Dafür ist Corona meistens nicht stark genug. Wenn Ihr Immunsystem vernünftig funktioniert und Sie keine Vorerkrankungen haben, kommen Sie eigentlich mit dem Virus gut zurecht. Immungesunde ohne Vorerkrankung werden an Corona nicht sterben.
Gut zu wissen. Dennoch scheint es ja ein schmaler Grat zu sein, was die Konstitution des Immunsystems angeht. RINK Es muss stark genug sein, um alles abzuwehren, es darf aber nicht zu stark sein, um gegen den Körper selber zu reagieren. Was man braucht, ist eine vernünftige Balance. Man braucht eine gewisse Keimdosis, um sich zu infizieren. Das hängt ab von der Pathogenität des Virus und der Stärke der angeborenen Immunität. Erst wenn die vom Erreger überwunden wurde, wird man krank. Wie hoch die Schwelle dieser natürlichen Immunität ist, das ist einerseits genetisch bedingt, hängt aber vor allem davon ab, was wir daraus machen. Wenn wir uns vernünftig verhalten, was Bewegung und Ernährung angeht, dann ist diese Schwelle hoch. Zum Beispiel müssen die Schleimhäute intakt sein. Man muss einfach genügend trinken. Die Frage ist also: Was mutet man seinem Immunsystem zu etwa mit Alltagsdrogen wie Rauchen.
Was ist denn nun wichtiger: Gene oder persönliches Verhalten? RINK Wenn man einen Gendefekt hat, ist das ausschlaggebend. Wenn man aber nicht unter einem klaren Ausfall eines Systems leidet, ist unser Lebenswandel das viel Entscheidendere. Lebenswandel ist ein weites Feld.
Was ist besonders schädlich, oder ist es eine Kombination aus allem? RINK Ganz einfach: Die Menge macht das Gift. Was wir zum Schlaf klar wissen: Schichtarbeiter haben mehr Infektionen, weil das Immunsystem dereguliert ist. Das Immunsystem hat viele Analogien zum Nervensystem. Wenn sich im Schlaf Ihr Gehirn neu sortiert, um am nächsten Tag wieder aufnahmefähig zu sein, passiert dasselbe auch mit dem Immunsystem. Es regeneriert sich über den Schlaf. Abends in der Diskothek steckt man sich zum Beispiel leichter an als morgens in der Schule. Morgens ist das Immunsystem eben stark, abends wird es schwächer. Bei Schichtarbeit schmeißen Sie diesen Rhythmus durcheinander, und das erhöht die Infektionsanfälligkeit.
Wie ist Rauchen zu bewerten? RINK Damit kleistert man sein Immunsystem gewissermaßen zu. Raucher haben alle Infektionen, die Nase, Mund und Lunge, also die Atemwege, betreffen. Erreger können nicht schnell genug aus der Lunge transportiert werden, weil diese durch das Kondensat verklebt. Raucher schwächen ihr respiratorisches System und haben eine höhere Anfälligkeit.
Und der Faktor Bewegung? RINK Wer sich nicht bewegt, hat ein Problem. Das Immunsystem ist quasi eine Einbahnstraße. Die Immunzellen
müssen über die Lymphbahnen zu den Lymphknoten, wo die Immunreaktion ausgelöst wird. Dieser Transport ist rein passiv. Wenn Sie Ihre Muskeln nicht bewegen, wird die Lymphe nicht aktiviert. Die Zellen kommen gar nicht zum Lymphknoten. Das ist so, als würde ein Wachmann auf Patrouille etwas sehen und Verstärkung rufen, doch ihm werden die Beine zusammengebunden. Man braucht pro Tag mindestens eine halbe Stunde Bewegung am Stück.
Man muss aber nicht gleich durch den Wald rennen? RINK Sie müssen keinen Sport machen. Eine halbe Stunde moderate Bewegung reicht, um das System intakt zu halten. Zwei- bis dreimal die Woche Sport sind genug. Wenn man das übertreibt, kommt man in Dauerstress und überfordert das System. Man braucht Ruhephasen.
Wie wichtig ist eine ausgewogene Ernährung? RINK Damit können Sie sehr viel bewirken. Zink ist ein wichtiger Faktor fürs Immunsystem, ähnlich wie Calcium und Magnesium für den Muskel. Sie brauchen aber verschiedene Spurenelemente und Vitamine. Wenn wir uns vernünftig gemischt ernähren, haben wir kein Problem. Wir brauchen hierzulande eigentlich keine Ergänzungsmittel. Sobald wir von der Mischkost abweichen, wird es schwierig. Als Vegetarier oder Veganer zum Beispiel kommen Sie schnell in die Unterversorgung. Zink nehmen Sie fast nur durch tierische Produkte auf. Auch alte Menschen jenseits der 65 haben oft einen Zinkmangel. Da ist eine zusätzliche Zink-zufuhr sinnvoll, bei jüngeren Menschen nicht. Vitamin D ist ebenfalls wichtig, weil es das Immunsystem ausbalanciert und ein Überschießen verhindert. In unseren Breitengraden macht es Sinn, das im Winter mit Tabletten zu ergänzen, weil die Sonneneinstrahlung nicht reicht.
Wer das alles berücksichtigt, ist also gut gewappnet? RINK Wer sich etwa viel mit Fast Food ernährt, gerät schnell in eine Dysbalance. Manches wird aber auch übertrieben: Man muss nicht fünfmal am Tag Obst und Gemüse essen, für den Nutzen gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. Klar ist: Wer kein Obst und Gemüse zu sich nimmt, hat Defizite. Aber wenn man einmal am Tag Gemüse-beilagen isst und später noch etwas Obst, dann reicht das.
Welche dieser Faktoren haben am Ende den größten Einfluss auf unser Immunsystem? RINK Es ist die Kombination aus allem. Ernährung liefert den Baustoff, damit die Zellen fit sind. In Entwicklungsländern etwa führt Mangelernährung zu Immundefiziten und Krankheiten. Der zweite Punkt ist der Transport der Zellen im Körper, und das geht nur über Bewegung. Heißt: Sie können sich so gut ernähren, wie Sie wollen, wenn Sie sich nicht bewegen, kommen die Zellen nicht dahin, wo sie hinmüssen. Umgekehrt ist es genau dasselbe.
Welchen Einfluss hat die Psyche? RINK Es gibt klare Interaktionen zwischen Psyche und Immunsystem. Depression ist zum Beispiel eine chronische Entzündung im Gehirn, das lässt sich messen – das bedeutet Dauerstress für das Immunsystem. Das System ist erschöpft und kann bei Bedarf nicht schnell und stark hochfahren. Die Psyche hat also einen großen Einfluss.
Heißt im Umkehrschluss: Wer immer gut drauf ist, stärkt sein Immunsystem? RINK Absolut. Glückliche Menschen werden weniger krank.