Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die CSU will wieder eine Obergrenze
Beim ersten Digital-parteitag der Christsozialen warnt der Vorsitzende Markus Söder, dass dem Land in einer zweiten Corona-welle die Luft ausgehen könnte.
MÜNCHEN Er sei „nicht ganz sicher gewesen, ob das klappt“, bekennt CSU-CHEF Markus Söder am Ende des Parteitages. Tatsächlich hat nicht alles funktioniert, wie seine Stellvertreterin Dorothee Bär verrät. Das zur Kinderbetreuung geplante Online-spiel etwa habe Generalsekretär Markus Blume bei der Generalprobe kaputt gemacht. So gibt es lediglich eine Zeichnung zum Ausdrucken und Ausmalen. Doch insgesamt sind die Christsozialen mit ihrem ersten (kleinen) Online-parteitag rundum zufrieden. Es war tatsächlich einer im Csu-format. Etwas Mitsprache von der Basis, aber die da oben behalten jederzeit alles in der Hand.
Parteitag der CSU ohne Jubel für den Vorsitzenden? Unvorstellbar. Deshalb drückt Bär zum Einzug von Söder ins Studio einen roten Button. Schon brandet Applaus vom letzten echten Wahlparteitag auf. Flotte Musik und Fanfaren auch bei weiteren Überleitungen. Blume hat die Corona-krise als Chance erkannt, die CSU als moderne Partei zu inszenieren. Das Video-bild, daneben der Leitantrag zum Runterscrollen, und die 136 eingeloggten Delegierten (von 168) können auch an Abstimmungen teilnehmen. Blume will zeigen, dass es funktioniert. Aber die Anspannung ist auch ihm ins Gesicht geschrieben. Vor allem, als das Ergebnis der Probeabstimmung über die Meisterschaft des FC Bayern München lange auf sich warten lässt und dann „nur“bei 80 Prozent landet. Bär hatte 99 erwartet.
Auch der zentrale Auftritt des Parteichefs ist anders als gewohnt. Kein
Söder, der in einer Ein-stunden-rede die Delegierten hochpeitscht, der mit donnernder Stimme und großformatigen Gesten seine Präsenz in die Halle drückt. Dieser „Parteitag“gleicht zunächst der ruhigen Fernsehansprache eines Regierungschefs an seinem Schreibtisch. Vor der CSU- und der Bayern-fahne gönnt sich Söder zwei Mal einen Schluck aus seiner Star-trek-tasse. Das wäre im klassischen Saal kaum rübergekommen.
Es signalisiert Entspannung. Und diesen Ton schlägt Söder auch inhaltlich an. Das Schlimmste bei den Corona-gefahren sei erst einmal vorbei. Die Infektionszahl verdoppele sich nicht mehr alle drei Tage wie zu Beginn, sondern statistisch nur noch alle 319. „Wir haben Bayern gut beschützt“, lautet sein Fazit. Und er beschreibt den Fahrplan der Lockerungen. Demonstrativ war er zuvor in einen Biergarten gegangen.
Aber er warnt vor Sorglosigkeit, solange es noch keine Medikamente gebe, und damit spricht er nach einer halben Stunde das Reizwort der CSU in der Migrationskrise aus: „Obergrenze“. Eine Stunde später wird der Parteitag den Satz beschließen: „Wir brauchen eine Obergrenze für die deutsche Staatsverschuldung in Krisenzeiten.“Sollte sich Deutschland nicht daran halten, dann fehle die „zweite Luft“, wenn es eine zweite Corona-welle gebe. Präziser als im Antrag formuliert es Söder in seiner Rede. In diesem Jahr dürften höchstens hundert Milliarden zusätzliche Schulden aufgenommen werden. Das könnte zu einem neuen Konflikt in der Koalition führen. Doch Söder will das Signal, dass die CSU nicht nur für medizinische, sondern auch für ökonomische Vernunft in der Krise stehe.
Gewöhnlich setzt sich die Basis wochenlang mit dem Leitantrag des Vorstandes auseinander. Erarbeitet Änderungsanträge, die dann beim Parteitag kontrovers diskutiert werden. Dieses Mal hat der Vorstand erst Donnerstagabend den Leitantrag fertiggestellt. Und erst einmal bekommt die Basis auch nicht das Wort. Nach Söder spricht Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Nicht zwei, sondern 14 Minuten. Dann Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er lädt die Bayern zum Urlaub in Österreich ein. Darauf
lädt Söder die Österreicher nach Bayern ein.
Nach 89 Minuten ist Landtagspräsidentin Ilse Aigner dran, nach 94 Minuten die Brüsseler Csu-chefin Angelika Niebler. Und dann kommt sie doch noch zustande: Eine insgesamt – für Csu-verhältnisse – muntere Aneinanderreihung von Basis-interventionen. Mal soll ein Wort raus, mal ein Satz rein. Die Frauenfrage möge keine Rolle rückwärts machen in der Krise, betont die Frauenunionschefin Ulrike Scharf, der Chef der Mittelstands-union Franz Josef Pschierer will Kaufanreize für Amazon und Zalando verhindern. Die
Pädagogin Ines Dollinger bekommt die Schulbücher als E-books in den Leitantrag, ein gutes Dutzend Anregungen bringt Blume ratzfatz unter. Nach dem Telefonat mit Ehrenparteichef Theo Waigel gibt es die Abstimmung. Diesmal sind es tatsächlich 99 Prozent. Blume und Bär strahlen. Und verleihen Preise an digital vorbildliche Orts- und Kreisverbände. „Das war nicht der letzte virtuelle Parteitag“, sagt ein zufriedener Generalsekretär und reicht Bär einen Blumenstrauß. Ganz analog. Sie weicht zurück, murmelt was von „Abstand“. Es war halt, so Blume, noch ein „Experiment“.