Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Mit Selbsthypnose zu mehr innerer Ruhe
Der Psychiater, Psychosomatiker und Psychoanalytiker Günter R. Clausen spricht über Strategien gegen Ängste.
Sie sind Leitender Arzt der Psychosomatik am Alexius/josef Krankenhaus und somit Experte für die Bedeutung psychischer sowie sozialer Vorgänge zur Entstehung von Krankheiten. Welche Auswirkungen hat die Corona-krise auf unsere Psyche? GÜNTER R. CLAUSEN Wir erleben eine Zeit der Todesbedrohungsängste. Wir sind belastet, irritiert, unruhig, manche werden womöglich sogar depressiv. Unsere Sprache im Zusammenhang mit Corona ist geradezu kampfartig geworden. Es ist viel von Krieg, Kampf und Tod die Rede. Dabei zieht sich das, was wir jetzt erleben, durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten haben uns schon immer bedroht. Meiner Meinung nach sollten wir uns vielmehr auf das Überleben und das Leben im Besonderen konzentrieren.
Können Sie das bitte konkretisieren. CLAUSEN Wir sollten versuchen, die Ängste abzumildern, uns weniger damit befassen, was uns schaden kann. Sondern vielmehr damit, was uns guttut. Angst nimmt soviel Platz im Kopf ein, dass Menschen nicht mit Verstand reagieren. Das sieht man beispielsweise auch am Einkaufsverhalten.
Wie kann es gelingen, eigene Ängste weniger zuzulassen? CLAUSEN Indem wir zu innerer Ruhe finden. Das geht über ruhige Atmung, schöne Bilder, die wir uns vorstellen, aber auch über Spaziergänge in der Natur und die Freude über den liebevollen Umgang mit unseren Nächsten. Zudem sollten wir unsere Hoffnung darauf konzentrieren, wie stark wir sein können, auch wenn die Krise vorbei ist.
Sie bieten seit einigen Jahren im Johanna-etienne-krankenhaus Hypnosetherapie an. Wer kommt zu Ihnen? CLAUSEN Wir haben fünf Gruppentherapien. Darunter sind Menschen mit somatoformen Störungen wie Reizdarm, Schwindel, Ohrgeräuschen, Schluckbeschwerden, Schlaf- und Denkstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen oder Krankheiten wie Essstörungen beziehungsweise Adipositas.
Finden diese Therapien derzeit überhaupt statt? CLAUSEN Nur im Einzelkontakt. Mit Abstand und Mundschutz. Wir sind aber dabei, für jene Patienten, die nicht in die Klinik kommen möchten, Tiefenentspannung anzubieten.
Dabei handelt es sich um Patienten, die längst bei Ihnen in Therapie sind. Haben Sie Tipps für jene Menschen, die sich alleine fühlen mit ihren Ängsten? CLAUSEN Am besten ist es natürlich, Entspannungs-hypnose begleitet zu erlernen. Es gibt aber auch die Möglichkeit der Selbst-hypnose mittels Entspannungs-cds mit Trance-texten, die einen in heilsame Wahrnehmungen begleiten.
Wo findet man seriöse Angebote zu diesen CDS? CLAUSEN Das ist gar nicht so schwer. Im Internet gibt es diverse gute Angebote. Man sollte allerdings darauf achten, dass die CDS von Psychotherapeuten und Ärzten angeboten werden.
Was kann Selbsthypnose bewirken? CLAUSEN Es geht um Wahrnehmungsveränderung im Denken, Fühlen und Handeln. Das kann bewirken, dass wir Probleme lösen können, eine lebensbejahende Einstellung erreichen und uns dadurch gesunder fühlen, was wiederum auch unser Immunsystem stärken kann.
Machen Sie persönlich auch Selbsthypnose? CLAUSEN Täglich, etwa 20 bis 30 Minuten lang.
Was ist das Ziel dabei? CLAUSEN Selbstbesinnung, Entspannung und die innere gute Wahrnehmung in den Vordergrund zu holen.
Angesichts von Existenzsorgen, dem Gefühl des Eingesperrt-seins und möglicherweise sogar häuslicher Gewalt, was ja leider viele Menschen in der derzeitigen Corona-krise betrifft, nicht einfach umsetzbar… CLAUSEN … Wir leben meist fremdbestimmt. Die Fremdbestimmung durch die Corona-bedrohung jedoch sollten wir nicht zum Tagesinhalt machen. Derzeit haben unzählige Menschen soviel Zeit wie nie zuvor. Deshalb ist es wichtig, sich den Tag zu strukturieren und nicht nur, bis in die Puppen zu schlafen. Wir sollten die Freiheit genießen, lesen, Musik hören, Spazierengehen, liebevoll miteinander umgehen. In den Familien, wo es zu Streit oder gar zu Gewalt kommt, gab es sicherlich bereits einen Nährboden. Ich bin überzeugt: Nach Ende der Corona-krise werden wir eine höhere Trennungsrate haben, aber es werden auch mehr Kinder geboren werden.