Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Hier sind alte Meister zu Hause
Berühmte Kunstwerke nachzustellen, ist in den sozialen Netzwerken beliebt. Auch unsere Leser haben viel Beeindruckendes und Komisches geschaffen.
Von den USA bis Russland, von Paris bis Korschenbroich probiert sich seit einigen Wochen eine neue Generation der „Kunstfälscher“aus. Dazu nehmen sie ein berühmtes Gemälde – gerne aus Barock oder Romantik – und kopieren es. Nicht mit Farbe und Pinsel, sondern mit alltäglichen Requisiten, mit denen sie sich selbst auf Fotos in Szene setzen. Das Ergebnis teilen sie mit Freunden in sozialen Netzwerken und auf Online-pinnwänden wie Facebook, Instagram und Pinterest mit der Allgemeinheit – gerne verbunden mit der Aufforderung, selbst kreativ zu werden und mitzumachen.
Einfallsreich waren in dieser oft „Museums-challenge“genannten Disziplin auch die Leser der Rheinischen Post. Als wir vor wenigen Wochen über dieses Phänomen berichteten und zum Mitmachen ermunterten, erreichten uns zahlreiche Fotos mit Erwachsenen und Kindern, die mit zum Teil beträchtlichem Aufwand, reichlich Fantasie und meist nur mit Alltagsdingen alte Meister in die Gegenwart – und die eigene Wohnung oder den Garten – holten. Die neuen Foto-kunstwerke lassen bereits zwei Schulen erkennen: Diese wollen detailliert und haargenau das Original nachbauen, jene geben dem Ganzen eine eigene Komik, indem sie noch die abwegigsten Haushaltsgegenstände ins Bild integrieren.
Topflappen werden beim Nachstellen von Raffaels sixtinischen Engeln zu kleinen Flügeln, eine
Tischdecke zum Renaissance-gewand der Mona Lisa, und ein Regenschirm für Carl Spitzwegs „Der arme Poet“findet sich auch an fast jeder Garderobe. Das Baby im Arm wird zum Christuskind, die Mutter im Homeoffice zur Madonna, und wer die besondere Herausforderung sucht, hält sich wie viele Twitter-nutzer an die „Challenge“-vorschrift des Getty Museums in Los Angeles: Nur drei Gegenstände dürfen mit aufs Bild. Ein alter Hockeyschläger ist die Hellebarde in der Hand eines flämischen Söldners, ein Collier aus Toilettenpapierrollen die passende Halskrause. Oder man nimmt das eine, etwas misslungene Hochzeitsfoto, das sonst keiner sehen darf, legt eine Gabel als Mistgabel zwischen das missmutig blickende Brautpaar – et voilà, fertig ist Grant Woods ikonisches „American Gothic“.
Die Ergebnisse zeigen – selbst wenn sie eine Parodie sein sollen – oft eine große Zuwendung und auch Zuneigung zum Original. Und anders geht es vielleicht auch gar nicht. Je detailverliebter das Plagiat – der Faltenwurf des Handtuchs, das eine mittelalterliche Haube darstellt, der Winkel der zum römischen Torbogen aufgestellten Olivenöl-flaschen –, desto deutlicher ist, dass ihre Erschaffer sich zu Hause gerne, intensiv und aufmerksam mit ihrem Lieblingskunstwerk beschäftigt haben. Und egal, mit wie großem Ernst und mit welcher Akribie die Meister ihre Bilder malten – so mancher komische Kopist hat es sich beim Nachahmen auch nicht gerade einfach gemacht.