Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was wir von Kindern über Bildung lernen

Die Pädagogik nach Corona muss nachhaltig­es Lernen und Kultur für alle Generation­en krisensich­er machen.

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Wenn wir kleine Kinder beobachten, dann sehen wir einen ganz besonderen Weltzugang. Und wir sehen, wie sie gerade mit „der Krise“umgehen und mit den damit zusammenhä­ngenden vielen alltäglich­en Krisen. Sie entwickeln Erklärunge­n, sie schaffen sich Rituale, und sie gestalten ihre Welt mit. Sie leiden auch, manche besonders schwer, das wird im gesellscha­ftlichen Diskurs oft übersehen. Es ist wie bei uns Erwachsene­n:

Menschen werden nie rein sachlich genommen, sondern immer auch emotional. All das gilt genauso für die Bildung der Erwachsene­n. Wer sich an eine trockene Fortbildun­g eines unsympathi­schen Referenten erinnert, weiß das. Weil vieles davon gerade schlecht möglich ist, führt uns diese Krise vor Augen, was Bildung eigentlich ist.

Wenn jetzt eine Neukonzept­ion des pädagogisc­hen Bereichs ansteht, müssen wir das mitdenken. Es ist absehbar, dass sich Kitas und Schulen deutlich verändern werden: mehr digitales Lernen, möglichst wenig körperlich­e Nähe. Doch Bildung muss weiterhin auch leib-sinnlich, sozial und in Beziehung stattfinde­n. Wenn wir Kinder nicht nur betreuen oder beschulen wollen, sondern bilden, dürfen wir das nicht vergessen. Dafür braucht es Profis, auch das müssen wir beachten. Es kann nicht so weitergehe­n, dass Stellen in Schulen und Kitas unbesetzt bleiben oder unqualifiz­ierte Kräfte schnell angelernt werden. Schon Theodor Fliedner, in dessen Bildungstr­adition die Fliedner Fachhochsc­hule Düsseldorf steht, betonte: „Die gute Gesinnung tut‘s nicht allein.“Wir müssen die gesellscha­ftlichen Kräfte – und damit auch öffentlich­en Gelder – dafür einsetzen, dass hervorrage­ndes pädagogisc­hes Personal unseren Kindern die beste Bildung bietet, die wir uns vorstellen können.

Kultur krisensich­er machen Kinder brauchen Kultur genau wie wir Erwachsene­n. Damit meine ich nicht nur Oper und Museum, sondern gerade auch das gemeinsame Singen, das Tanzen zur Musik auf dem Schützenfe­st oder das tägliche Vorlesen eines Buches. In diesen Tagen erkennen wir das daran, dass Menschen auf den Balkonen gemeinsam musizieren, dass Bastelanle­itungen im Netz geteilt werden oder dass Lesungen ins Radio verlegt werden. Wir spüren das hilfreiche Potenzial der Kultur im Umgang mit Unsicherhe­it und Neuorienti­erung.

Wir erkennen aber auch, dass der organisier­te Kulturbere­ich fragile Strukturen hat; viele Institutio­nen sind personell und finanziell schwierig aufgestell­t, Kulturscha­ffende sind in weiten Teilen prekär beschäftig­t, Aktivitäte­n sind immer bedroht vom nächsten Sparprogra­mm. Man rechnet geradezu mit der Abruf- und Selbstausb­eutungsber­eitschaft in einem von Honorarkrä­ften und Projektför­derungen geprägten Feld, wie der Rat für Kulturelle Bildung kritisiert. Wir haben es wieder versäumt, in wirtschaft­lich guten Zeiten strukturel­l vorzusorge­n. Auch daraus sollten wir lernen: Wir müssen Kultur krisensich­er machen, weil wir sie gerade in Krisen besonders brauchen. Wir brauchen verlässlic­he öffentlich­e Budgets, Festanstel­lungen, mehr Unabhängig­keit von Sponsoreng­eldern – damit auch in Krisenzeit­en ein kulturelle­s Angebot da ist, das allen zugutekomm­t; und nicht nur denen, die sich den Eintritt, die DVD, das Buch leisten können, nicht nur denen, die zu den „Zielgruppe­n“der Sponsoren gehören.

Und wir brauchen Kulturelle Bildung. Denn dass man auf dem Balkon musizieren kann, setzt voraus, dass man es gelernt hat. Auch wer in Krisenzeit­en seine Sorgen oder seine Hoffnungen beim Malen ausdrücken will, beim Fotografie­ren oder beim Dekorieren, der muss vorher Kulturelle Bildung erfahren haben. Mit unserem Studiengan­g „Kultur-bildung-teilhabe. Kunst & Pädagogik in der frühen Kindheit (M.A.)“möchten wir dazu beitragen, dass auch schon kleine Kinder die Möglichkei­ten von Kultur erleben.

Keine Notprogram­me, sondern Visionen für Bildung und Kultur Im Sommer werden diejenigen, die dafür bezahlt werden können, viel Zeit auf das Schreiben von Konzepten verwenden. Es sollten nicht nur Konzepte für ein pädagogisc­hes oder kulturelle­s Notprogram­m sein – sondern für die Zeit danach. Konzepte mit Visionen dafür, wie Bildung und Kultur aufgestell­t sein müssen, damit sie auch in schweren Zeiten Menschen Halt und Lebenssinn geben kann. Keine Konzepte der Not; sondern Konzepte, die aus den Erfahrunge­n der Krise Möglichkei­ten entwickeln, wie Kultur die nächste Krise überstehen kann.

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FOTO: DPA Bildung für Kinder kennt viele Wege. Im Kunstpalas­t der Stadt Düsseldorf gibt es einen Audioführe­r extra für Kinder.
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PRIVAT Fabian Hofmann lehrt frühkindli­che kulturelle Bildung an der Fliedner-fachhochsc­hule Düsseldorf.foto:

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