Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Dieter Schlangen ist ein Geschichte­n-erzähler

Ob beim Konzert vor einem Seniorenze­ntrum, in Vorträgen oder in zehn Büchern: Der Elsener versteht es, das Publikum zu fesseln.

- VON DIRK NEUBAUER

GREVENBROI­CH Es regnet in Strömen. Der Wind pfeift kühl um die Ecke. Und das provisoris­ch aufgebaute Partyzelt hält nur das Gröbste von „Scottish Sounds“ab. Aber Heinz Müller, Wolfgang Meier, Heinz Willi Janßen, Karl Willy Kropp, Rolf Jungmann und Wolfgang Huhle tragen ihre für dieses Wetter zu kurzen Kilts mit Stolz und bringen Dudelsack-klänge vor die Seniorenre­sidenz Bernardus. Dichter ran geht’s nicht in Corona-zeiten – die Senioren folgen dem Trommel-rhythmus. Wer Lust hat, ist eigens dazu gekommen oder hat in der Entfernung ein Zimmerfens­ter geöffnet. Ein Mann steht am Rand und lauscht und freut sich. Dieter Schlangen (74) hat den Spontanauf­tritt auf Abstand im Rahmen seiner Reihe „Musik meets Geschichte“organisier­t. Die Historie nach Noten ist nur eine seiner vielfältig­en Aktivitäte­n. Er hält Vorträge, er schreibt Bücher, er bringt Musiker zu den Senioren der Stadt.

„Jetzt während der Pandemie ist es schwer für mich. Viel schwerer ist es aber noch für die Menschen in den Altenheime­n“, sagt Schlangen. Sie sind ihm in den zurücklieg­enden Jahren ans Herz gewachsen. „Wenn ich nach einiger Zeit mal wieder in einem bestimmten Haus bin und nach einem Bewohner frage, dann höre ich manchmal, derjenige sei verstorben.“So etwas nimmt ihn mit. Dann muss am besten das nächste Projekt her, um sich mit etwas anderem zu beschäftig­en.

Mit Wilhelm Kurthen, zum Beispiel.wilhelm Kurthen? Dieser Name war Schlangen selbst unbekannt – bis ihn seine hochbetagt­e Nachbarin Maria Drell auffordert­e, „doch was über den Wilhelm zu schreiben“, der mit ihr verwandt war. Geschichts­kenner Schlangen begab sich an die Arbeit – und herausgeko­mmen ist ein 160 Seiten starkes Buch, das den Lebensweg eines tatsächlic­h interessan­ten und zu seiner Zeit bekannten Menschen aufzeichne­t.

Wilhelm Kurthen (1882–1957), geboren in Elsen, war Pfarrer, Komponist und Musikwisse­nschaftler, dessen Ruf weit über das Rheinland hinaus ging. Seine wohl erfolgreic­hste Messe – „Es ist ein Ros’ entsprunge­n“– wurde am ersten Weihnachts­tag 1930 gleichzeit­ig im Kölner und im Trierer Dom uraufgefüh­rt. „Vergleichb­ares hat es wohl selten in der Musikgesch­ichte gegeben“, sagt Dieter Schlangen.

Hinter diesem Satz stecken zwei Jahre Recherche. Das Buch erschien im Juni 2020 und wurde herausgege­ben vom Fördervere­in St. Stephanus

in Erinnerung an einen großen Sohn aus Elsen. So ist das mit Dieter Schlangen. Sobald er ein Thema für sich entdeckt hat, bohrt er sich regelrecht hinein. Wirtschaft und Geschichte sind sein Steckenpfe­rd. Seit 2013 hat sich der ehemalige Verwaltung­smann mit zahlreiche­n Themen aus und um Grevenbroi­ch befasst. „Ich habe seither zehn Bücher geschriebe­n und jedes Jahr vier Vorträge ausgearbei­tet“, erzählt er aus einem Leben, das bei anderen Ruhestand genannt wird.

Thematisch deckt Schlangen ab, worauf er gerade Lust hat. Oder wonach er gefragt wird. Die Liebschaft­en Ludwig van Beethovens gehören zum Beispiel dazu. „Der Mann muss meiner Meinung nach ein Schwerenöt­er gewesen sein“, lenkt er geschickt die Neugier auf seinen Vortrag. Den erzählt Dieter Schlangen bei Bedarf nicht langatmig am Stück, sondern in Portionen, zwischen denen Lukas Goldmann seine Violine spielt. Beethoven, natürlich.

Der Eisenbahnb­au der Strecke zwischen Düren und Neuss – mit dem Zwischenha­lt Grevenbroi­ch. Eine Erinnerung an Kardinal Frings, den Neusser Sohn in hohen katholisch­en Würden, aber mit Verständni­s für die Sorgen der Menschen. 90 Jahre Grevenbroi­cher Bauverein, die Anfänge der Elektrizit­ät in Grevenbroi­ch oder – ein wenig aus der Reihe gefallen – die Kinder-geschichte vom Sommerfest der Tiere im Elsbachtal – Dieter Schlangen hat offenbar noch nie ein Thema abgelehnt oder zurückgewi­esen.

Während die Mannen mit Dudelsack und Trommeln dem nasskalten Herbst noch rasch eine Zugabe entgegenst­ellen, sagt Dieter Schlangen: „’Musik meets Geschichte’ macht mir einfach Spaß.“Ob Hammondorg­el oder Dudelsack – den alten Menschen eine Freude zu bereiten – das mache ihm selbst viel Freude.

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FOTO: DIETER STANIEK Der Heimatfors­cher an seinem Arbeitspla­tz: Dieter Schlangen.
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FOTO: SCHLANGEN Die Highlands fangen in Elsen an: Scottish Sounds spielen vor dem Seniorenze­ntrum Bernardus – in strömendem Regen.

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