Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der Kronkorken-tempel am Jakobsweg
Mehrere zehntausend bunte Kapseln schmücken nun die alte Schutzhütte. Am Wochenende wird sie fertiggestellt.
GREVENBROICH Natürlich hat sie niemand gezählt, die bunten Kronkorken, die den „Waldtempel“am Hans-gottfried-bernrath-weg schmücken. Und so kann Claudia Middeldorf nur grob schätzen, wie viele es denn sein könnten. „70.000“, sagt sie. „Mindestens“. Bis zum Wochenende werden noch einige Hundert hinzukommen. Denn dann soll die kunterbunte Schutzhütte an der Erft endgültig fertiggestellt werden.
Gut anderthalb Jahre ist es nun her, seitdem Claudia Middeldorf über ihre Facebook-seite „Gutes Karma für Grevenbroich“zur Rettung des kleinen Häuschens auf dem Weg zwischen Grevenbroich und Wevelinghoven aufgerufen hatte. Die Hütte, die jahrzehntelang von Zechern mit Kronkorken verziert und im Volksmund „Biertempel“genannt wurde, verfaulte stellenweise, ihr drohte der Verfall. „Das wäre ausgesprochen schade gewesen“, sagt Middeldorf. „Denn irgendwie gehört sie hierhin.“
Ihre Idee: Mit Unterstützung zahlreicher Helfer sollte dem „Biertempel“wieder zu altem Glanz verholfen werden. „Die Resonanz darauf war riesig“, freut sich die Yoga-lehrerin. „Nach dem Aufruf im Internet wurden uns auf einmal Kronkorken aus allen Teilen der Bundesrepublik geschickt.“
Jeder der kleinen Verschlüsse wurde in den vergangenen Monaten bei „Sit-ins“in Gärten individuell bemalt, was manchmal nicht ganz einfach war: „Ein Motiv auf ein solch kleines Ding zu pinseln – dafür muss man schon Nerven haben“, sagt Joachim Huntke (60), einer der vielen Helfer. Gut, dass es da Grundschüler und Kita-kinder gab, die eifrig mitmachten. Alleine der Offene Ganztag aus Anstel steuerte 5000 bunt bemalte Kronenverschlüsse hinzu.
Nachdem die Stadt das Holz der mindestens 45 Jahre alten Schutzhütte erneuert hatte, wurden die Kapseln an die Innen- und Außenwände geklebt oder mit kleinen Nägeln befestigt. Neben größeren Bildern – wie ein Peace-zeichen oder der Nachthimmel mit dem Großen Wagen – sind zahllose Einzelmotive zu sehen. „Viele unserer Mitstreiter haben in den vergangenen Monaten ihre künstlerische Ader entdeckt“, sagt Middeldorf. „Wer hier rastet, kann auf eine ausgiebige Entdeckungsreise gehen.“
An der Rückseite des Häuschens entsteht zurzeit noch ein großes Bild: Zwei Familien arbeiten an der „Kleinen Raupe Nimmersatt“, die am Wochenende fertiggestellt werden soll. Gerne würden die Tempel-hüter danach die Fertigstellung ihres gelungenen Werks feiern
– doch: „Wegen Corona muss das leider ausfallen. Ich denke, dass wir im nächsten Frühjahr hier eine große Sause starten können.“
Der „Waldtempel“mit Tisch, Ruhe- und Eckbank steht direkt am Jakobsweg. „Und er soll auch den Pilgern künftig zur Verfügung stehen“, sagt Claudia Middeldorf, die selbst den „Camino“auf der portugiesischen Route erwandert hat. „Daher weiß ich, wie gut es tut, wenn man sich unterwegs einmal ausruhen kann.“
Nur so herumstehen und sich Wanderern anbieten soll die Hütte allerdings nicht. „Wir werden hier künftig viele Aktionen veranstalten“, sagt Middeldorf. Entspannungsübungen oder Meditationen in der Natur seien ebenfalls möglich wie ein „Waldbad“, bei dem die Teilnehmer auch schon mal einen Baum umarmen dürfen. Auch Kräuterwanderungen und Führungen in die nähere Umgebung des „Waldtempels“
sollen künftig stattfinden – denn: „Uns überrascht schon, dass viele Grevenbroicher gar nicht wissen, wie schön es vor ihrer eigenen Haustüre ist.“
Mit „Heimatscheck“-fördermitteln des Landes wurde eine Schautafel finanziert, die demnächst mit Informationen zur Natur bestückt wird. Und mit der Aufforderung, sorgsam mit dem kleinen Kunstwerk an der Erft umzugehen. „Die Hütte soll ja lange stehen bleiben.“