Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Was erlauben Profi-fußball?
MEINUNG Auch in der Pandemie zeigt sich die Sonderstellung der Spitzenklubs in der wichtigsten deutschen Sportart. An Dreistigkeiten mangelt es nicht. Akut bedroht sind indes die Amateure und Athleten aller anderen Sportarten.
Wenn ein Kita- oder Schulkind mit dem Coronavirus infiziert ist, wird das ganz große Besteck rausgeholt, je nach Lage vor Ort bis hin zur 14-tägigen Quarantäne für die ganze Klasse. Wenn vor dem Anpfiff eines mittelwichtigen Fußballspiels ein Spieler und zwei Co-trainer positiv getestet werden, geschieht: nicht viel. Die Zweitligapartie Hamburg gegen Würzburg am Samstag fand statt wie geplant. (Dass sich die ganze Sache später als Fehlalarm erwies, konnte noch keiner wissen.) Beim Revierderby am Samstag in Dortmund waren 300 Zuschauer dabei, obwohl es nach dem Willen der Landesregierung gar keine mehr hätten sein sollen. Bei Union Berlin waren es sogar 4500.
Nun mag man einwenden, dass es im Fall Hamburg gegen Würzburg Schnelltests für alle Spieler und Trainer gab und dass bei Union und beim BVB ja auch die örtlichen Gesundheitsämter beteiligt waren. Dennoch zeigt sich daran die Prioritätensetzung in unserem Land. König Fußball regiert, Kinder und Kultur interessieren nicht wirklich.
Amateurfußball übrigens auch nicht. Der niedersächsische Kreisligist SG Ripdorf/molzen II verlor neulich mit 0:37 gegen den SV Holdenstedt II. Nach einem Corona-fall hatten die Spieler Angst, sich anzustecken – und hielten auf dem Platz Abstand. Der ernste Hintergrund: Eine Verlegung des Spiels war gescheitert; ein kompletter Boykott kam für Ripdorf nicht infrage: Dem Verein geht es finanziell so schlecht, dass er keine Geldstrafe riskieren konnte.
Dieses Problem ist auch vielen erstklassigen Klubs anderer Disziplinen bekannt; die Kölner Haie etwa stehen vor der Insolvenz, als eines von sechs der 14 Top-teams im Eishockey. Mangels Zuschauern fehlen ihnen rund 80 Prozent der Einnahmen – denn im TV dominiert bekanntlich König Fußball. Weshalb auch immer. Der FC Bayern holte die letzten acht Meisterschaften in Folge und fünf Pokalsiege dazu. Selbst der zweite Platz ist quasi reserviert: Dortmund wurde fünf Mal Zweiter und stand vier Mal im Pokalfinale. Angesichts dieses Duopols kritisiert Sportjournalist Arnd Zeigler, die Bundesliga sei zu einer Simulation verkommen – und zwar einer Wirtschaftssimulation.
Der Fehler liegt im System: Fifa und Uefa, DFL und DFB verteilen ihre Milliarden systematisch von unten nach oben um. Die Klubs geben deshalb weiter munter Millionen für neue Spieler aus – und entblöden sich nicht, mit Verweis auf Corona das Maskottchen (FC Arsenal) oder gar die Busfahrer (Schalke 04) zu feuern.
Dass das nicht alternativlos ist, beweisen ausgerechnet die großen Us-sportligen. Dort bewahren komplexe Regelwerke die Wettbewerbsgleichheit: Größere Teams finanzieren kleinere mit, die schlechtesten Mannschaften bekommen Vorrang bei der Verpflichtung der besten Talente. Was sozialistisch anmutet, dient dem Gegenteil: Dass Konkurrenz das Geschäft belebt, gilt auch im Sport. Innerhalb der Ligen funktioniert das; darunter gibt es praktisch nichts.
Anders im einzigartigen Ökosystem der deutschen Dorfvereine, die charmanterweise je nach Disziplin oft auch Bundesligisten stellen – im Handball etwa Balingen-weilstetten und Nordhorn-lingen, im Basketball Crailsheim und Vechta, im Tischtennis Bergneustadt und Grünwettersbach. Doch dieses Vereinssystem gerät in immer größere Gefahr: Ganztagsschulen und soziale Medien rauben dem Nachwuchs die Zeit, das Berufsleben frisst Trainer und Schiedsrichter auf. Obendrauf kommt nun Corona, das die Einnahmen radikal schrumpft. Die Einschnitte sind bei den Kleinsten am größten.
Um den Amateurfußball muss man sich dabei noch am wenigsten sorgen. Noch immer sind 7,2 Millionen Menschen in mehr als 24.000 Vereinen gemeldet, die 145.000 Mannschaften stellen. Woche für Woche messen sich
Unser System der Dorfvereine, die Erstligisten sein können, ist weltweit einzigartig