Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das System der „Mafia & Co. KG“
Nach einer Corona-pause wäre der Duisburger Mafia-prozess fast erneut unterbrochen worden. Ein Staatsanwalt musste in Quarantäne. Die Anklage offenbart ein komplexes Drogensyndikat, das von NRW bis nach Kolumbien reicht.
DÜSSELDORF Im August 2017 fährt Serkan B., ein Kfz-mechaniker, der sich „Pablo“nennt, nach Süditalien und will den Paten sprechen. Es geht um sehr viel Geld, und das möchte er zurückhaben. Mit türkischen Freunden erreicht B. die Kleinstadt San Luca. 3633 Menschen leben dort, die meisten sind verwandt mit der mächtigsten Mafia Europas: der ’Ndrangheta. San Luca wird beherrscht von ihr, so sehr, dass die Stadt nach Medienberichten kaum noch jemanden findet, der Bürgermeister werden will. B. kann die Schulden eintreiben, ein Mafiaboss persönlich klärt die Angelegenheit.
Ein Jahr später nehmen Ermittler in NRW einen Kokain-ring hoch. B., seine Komplizen und mutmaßliche ’Ndrangheta-mitglieder aus Duisburg, Neuss und vielen anderen Städten werden festgenommen. Sie sehen sich wieder vor Gericht. Die Episode mit Serkan B. ist in der Anklageschrift beschrieben.
Am Montag wurde der Duisburger Mafia-prozess im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf fortgesetzt. 14 Männer müssen sich verantworten, weil sie unter anderem mit Hunderten Kilo Kokain gehandelt haben sollen. Zuständig ist das Landgericht Duisburg, doch aus Sicherheitsgründen findet das
Verfahren in dem als „Terrorbunker“bekannten Gebäude nahe dem Medienhafen statt. Der Prozess startete bereits vor zwei Wochen, wurde allerdings kurz nach Beginn unterbrochen. Die Mutter eines Angeklagten hatte sich mit dem Coronavirus infiziert, er hatte sie besucht und war deshalb am Tag darauf nicht vor Gericht erschienen.
Das Virus hätte den Mammutprozess, für den 90 Verhandlungstage angesetzt sind, fast wieder erwischt. Während die Personalien der Angeklagten abgefragt werden, springt einer der drei Staatsanwälte auf. Er hat die Nachricht gelesen, dass ein Polizist,
mit dem er im Auto unterwegs war, positiv ist. In einer dreistündigen Unterbrechung werden die Staatsanwälte per Schnelltest untersucht. Alle Ergebnisse sind negativ. Unter den 40 Verteidigern regt sich Protest. Sie fürchten ein Superspreader-event und wollen erneut vertagen, doch der Vorsitzende Richter lehnt ab. Es gebe keinen Grund zur Sorge, man halte die Richtlinien des Gesundheitsamts ein. Der Staatsanwalt wird abgezogen.
Die Anklageschrift trägt nun einer der beiden Vertreter vor. Darin offenbart sich ein komplexes Netzwerk, das den Kokainhandel in NRW ab 2014 kontrolliert hat. Fünf Angeklagte sollen Mitglieder der ’Ndrangheta sein. Einer davon, Bruno G., ein Gelatiero aus Duisburg, soll bis in die Führungsebene der Organisation vernetzt sein. Laut Anklage haben die Männer Kontakte nach Kolumbien gepflegt und das Kokain von dort in europäische Häfen bringen lassen. Die Drogen waren demnach in Lieferungen von Bananen, Holz oder Reis versteckt und kamen unter anderem in Rotterdam an. Um nicht aufzufallen, sollen die Mafiosi Scheinfirmen gegründet haben, die den eigentlichen Warenverkehr anordneten. So gab es in Schwalmtal eine „Import Export Gmbh“, die sich Holz liefern ließ – in doppelten Böden lag das Kokain.
Um die illegale Ware zu verkaufen, sollen die Angeklagten einen Kurierdienst aufgebaut haben, dazu mehrere logistische Stützpunkte in ganz NRW. Dazu gehörten etwa ein Eiscafé in Duisburg und eine Pizzeria in Wesseling bei Köln. Doch zuerst brauchten die Männer dafür Geld. 2015 lernt ein ’Ndrangheta-mitglied Serkan B. kennen. Er und einige Bekannte versprechen, der Mafia hohe Summen zu leihen, fordern aber Zinsen. Sie stellen auch Autos bereit, fahren beim Transport mit und steigen in das Drogengeschäft ein.
Die Staatsanwaltschaft wird diese Kooperation später „Mafia & Co. KG“nennen. Als die Zinszahlungen ausbleiben, kommt es zum Streit. B. und seine Komplizen reisen nach Kalabrien. Etwa zur selben Zeit kommen die Behörden dem Kokain auf die Spur und schleusen einen verdeckten Ermittler ein, Codename „Kara“. Er lässt das Netzwerk auffliegen. Im Dezember 2018 werden Dutzende Männer in einem europaweiten Schlag gegen die Mafia in Deutschland, Italien und den Niederlanden festgenommen.
Ein Urteil soll frühestens Ende 2021 fallen. Die Ermittlungsakten füllen 57 Umzugskartons, die Anklageschrift umfasst 649 Seiten.