Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„St. Martin to go“im Raphaelshaus
Im Interview spricht Direktor Marco Gillrath über Probleme für das Jugendhilfezentrum in der Corona-krise.
Herr Gillrath, die Corona-pandemie hat den Alltag stark verändert, wie wirkt sie sich auf das Jugendhilfezentrum Raphaelshaus aus? MARCO GILLRATH Sie beeinflusst unser Zusammenleben und Arbeiten mit den Kindern und Jugendlichen stark. Wir wollen die größtmögliche Sicherheit für die Betreuten wie auch für die Mitarbeitenden erreichen – und gleichzeitig unserem Auftrag der Jugendhilfe gerecht werden. Das ist ein großer Balance-akt, vor allem weil ja das Virus und die Folgen so neu für uns alle sind. Das geht jedem Arbeitgeber und jeder Familie ähnlich – wir müssen die Abwägung, was trotz Corona möglich und sinnvoll ist, gleich 250 Mal treffen und eine Weiterbetreuung in jedem Fall sicherstellen.
Gab es im Raphaelshaus bereits bestätigte Corona-fälle angesichts von rund 250 Kindern und Jugendlichen und 250 Mitarbeitenden? GILLRATH Zum Glück waren es bisher nur zwei Corona-infektionen im Kollegenkreis, die glimpflich verlaufen sind. Da es keine Pädagogen aus den Gruppen waren, mussten wir keine Quarantäne-maßnahmen ergreifen. Wir hatten bei rund 80 Verdachtsfällen, von denen die Hälfte Kinder waren, keine weiteren positiven Testergebnisse.
Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie, die Raphaelshaus-familie vor dem Coronavirus zu schützen? GILLRATH Mit ganz viel Vorsicht und Umsicht – und auf Abstand ausgerichtet. Wir haben unser ganzes Programm auf den Prüfstand gestellt, wo wir reagieren müssen, was wir noch anbieten können und was wir leider nur digital oder gar nicht mehr machen können. So versuchen wir seit März, eine Durchmischung der Gruppen möglichst zu vermeiden, obwohl von diesem Miteinander ansonsten unsere Pädagogik lebt. Nur noch einzelne Gruppen gehen zu den Tieren, in die Kletterhalle oder auf die Sportplätze.
Wie sieht das in der Raphaelschule aus? GILLRATH Da kommt uns zugute, dass wir nur zehn Schüler in einer Klasse haben, so dass der Abstand besser einzuhalten ist als in einer Klasse mit 25 Mitschülern. Auch unser großes Gelände ist ideal, um die Pausen individuell für jede Klasse anzubieten. Zudem haben wir uns – schon vor dem Ministerium – für eine Maskenpflicht im Unterricht ausgesprochen.
Diese Änderungen erfordern ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität, nicht nur von den Jugendlichen... GILLRATH Ja, das erfordert viel Organisation und Absprache, auch eine schnelle Reaktion auf ausfallende Lehrer oder Pädagogen. Ich bin allen Mitarbeitenden sehr dankbar für ihren tollen Einsatz und ihr Engagement in dieser besonderen Zeit. So ist zum Beispiel der Krankenstand zurückgegangen seit Corona, nicht gestiegen, wie man vielleicht glauben könnte. Zudem haben mir einige Pädagogen bereits signalisiert, dass sie auch bereit wären, eine möglicherweise infizierte Gruppe weiter zu betreuen, wenn sie von den anderen isoliert werden müsste. Das ist alles nicht selbstverständlich. Zum Glück brauchten wir bisher nicht auf dieses Angebot einzugehen.
Die Betreuung wird sichergestellt, trotzdem fallen Höhepunkte im Jahresverlauf für die Kinder und Jugendlichen auch im Jugendhilfezentrum Raphaelshaus wegen Corona aus. Wie stellen Sie sicher, dass sich die Kinder und Jugendlichen trotzdem nicht benachteiligt fühlen? GILLRATH Wir versuchen, Ersatzangebote zu schaffen für die Highlight-veranstaltungen, die es seit März nicht mehr gibt. Die große Langeweile darf nicht ausbrechen. So hat eine Gruppe eine Zirkusaufführung vorbereitet und ihr Können vor wenigen Zuschauern gezeigt. Mit einer Videoaufnahme auf einer DVD können sie das aber ihren Eltern doch noch zeigen. Auch wenn wir in den Sommerferien keine Touren ins Ausland gemacht haben, sind doch fast alle Kinder und Jugendlichen trotzdem in kleinen Gruppen in Urlaub in Deutschland gefahren. Da kamen uns unsere Ferienhäuser zugute.
Wie gehen Sie mit den religiösen Feiertagen um? GILLRATH Da haben wir unser Angebot auch auf weniger Gemeinschaft und mehr Abstand und Digitalität umgestellt. So gibt es inzwischen unsere Gottesdienste „to go“, spirituelle Angebote werden vorbereitet und weiter angeboten. Leider muss zu St. Martin das große Martinsfeuer ausfallen. Aber auch da gibt es „St. Martin to go“: Jede Gruppe kann in einer Feuerschale ihr eigenes Martinsfeuer vor der Haustür entzünden und erhält natürlich wieder Weckmänner. Außerdem können sie auf einer Stoffbahn aufschreiben, welche Stärken sie zur Gemeinschaft beitragen können. Dieses Tuch wird zusammengenäht und soll dann am Haupthaus aufgehängt werden. Auch Weihnachten werden wir sicher anders feiern. Feststeht, dass es wieder eine Krippe in der Kapelle geben wird. Die Stationen dazu werden per Qr-code abrufbar sein, das bereitet die Gruppe um Pfarrer Joachim Windolph vor.
Ist ein Jugendhilfezentrum in der Corona-krise etwas Besonderes? GILLRATH Wir müssen die Kinder und Jugendlichen mit ihren Problemen, Krisen und Traumata unterstützen und betreuen. Damit können wir nicht einfach aufhören, weil jemand krank ist oder gerade nicht kann. Daher werden Jugendhilfegruppen auch vom Land NRW wie Familien betrachtet. Die zusammenlebenden Gruppen dürfen also auch mit mehreren Personen spazieren gehen, was am Anfang der Corona-pandemie zu Erstaunen und auch einigen unfreundlichen Bemerkungen bei ein paar Dormagenern geführt hat.
Was wünschen Sie sich von Bund und Land? GILLRATH Dass Jugendhilfe ähnlich wie Krankenhäuser und Altenheime betrachtet wird und die Mitarbeiter schnell auf Corona getestet werden. Denn bei einer Erkrankung wäre dann die ganze Gruppe betroffen.