Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Neues Netzwerk der Erinnerung
Am Volkstrauertag startete ein mehrjähriges Forschungsprojekt. Dabei geht es um alle Toten des Zweiten Weltkriegs in Grevenbroich: Soldaten, zivile Bombenopfer und Vermisste, Zwangsarbeiter und Holocaust-Ermordete.
GREVENBROICH Bomben machen keinen Unterschied zwischen Nazis, Widerstandskämpfern, Frauen, Kindern, Zwangsarbeitern oder den Alten. „Ich habe es im Rahmen meiner Arbeit manchmal mit ganzen Straßenzügen aus Grevenbroich zu tun, in denen die Menschen am selben Tag ausgelöscht wurden“, sagt Stefan Faßbender vom Arbeitskreis Familienforschung.
Stefan Rosellen vom Verein Luftschutzanlagen im Rhein-Kreis Neuss wurde auf Kriegsgräberstätten stutzig. Da standen Frauennamen auf den Kreuzen. Und Geburtsdaten machten deutlich: Hier starb ein Kind. Rosellen fragt: „Wie kam es dazu?“
Im Kreisarchiv hütet Cornelia Schulte unter anderem die Lastenausgleichsakten zur Erfassung der Bombenschäden.
Ulrich Herlitz vom Geschichtsverein treibt die Erkenntnis, dass der Zweite Weltkrieg auch ein Feldzug der Nazis gegen das eigene Volk war. Am Volkstrauertag starteten sie ein mehrjähriges Geschichtsprojekt für Grevenbroich. Sie wollen ihre bisherige Arbeit enger miteinander vernetzen. Der Kampfmittelräumdienst soll seine Erkenntnisse aus Luftbildern der alliierten Luftangriffe beitragen. Mit der Hilfe von Daten aus amtlichen Urkunden und Unterlagen, Zeitzeugenberichten und historischen Schriftstücken soll ein ,möglichst komplettes Bild der letzten Kriegstage in Grevenbroich entstehen.
Da ist zum Beispiel der 14. Januar 1945. In zahlreichen persönlichen Aufzeichnungen steht dieses Datum für einen der schwersten Luftangriffe auf Grevenbroich überhaupt. Als sich die Qualm- und Staubwolken verzogen, waren mehr als 40 Menschenleben ausgelöscht. Soweit man bislang weiß; vielleicht waren es auch viel mehr Opfer. „Die Dunkelziffer ist gewaltig“, sagt Stefan Faßbender, der die Sterbeurkunden seit 1939 in einer Datenbank erfasst hat. Er ahnt: „Die Daten auf unseren Kriegsgräberdenkmalen sind falsch. Es starben viel mehr Menschen.“Doch auch aus Propagandagründen seien viele Schicksale von der bis zuletzt funktionierenden deutschen Bürokratie verschwiegen worden.
„Wir wollen uns mit den Toten des Zweiten Weltkriegs in Grevenbroich befassen“, sagt Ulrich Herlitz vom Geschichtsverein. Und zwar mit allen. Mit den Soldaten auf beiden Seiten. Mit den alliierten Bomberpiloten, die über der Schlossstadt abgeschossen, beerdigt und nach
Kriegsende oftmals exhumiert und zurück in ihre jeweilige Heimat gebracht wurden. Mit Zwangsarbeitern und jüdischen Menschen, die ebenfalls zu Tode kamen. Mit den zivilen Toten.
Dass diese Zusammenarbeit nun beginnt, ist auch einer Beobachtung geschuldet: 75 Jahre nach Kriegsende scheint der Volkstrauertag zu einem wenig beachteten Gedenktag im Kalender geworden zu sein. Mit der Zusammenarbeit sollen die Zahlen und Statistiken Gesichter bekommen.
Das würde rasch zu einer Sisyphusarbeit werden. Deshalb sind Zeit und Raum fokussiert. „Wir wollen uns schwerpunktmäßig mit den Bombenangriffen Ende 1944/Anfang 1945 im Bereich um den Grevenbroicher Bahnhof und in der ‚Altstadt’ Grevenbroichs beschäftigen“, sagt Ulrich Herlitz vom Geschichtsverein. Hier soll der Kern des gemeinsamen Erinnerungsprojektes liegen. „Wir wollen mit dem Projekt die Kriegstoten würdigen und deren Mahnung, dass Krieg immer Tod, Leid und Vernichtung mit sich bringt und die Toten uns mahnen, dass sich so etwas nie wieder wiederholen darf.“Sobald das gesamte Ausmaß der Kriegsereignisse in Grevenbroich deutlich ist, sobald Namen und Geschichten erzählt werden können, soll es eine Onlinepräsentation im Internet geben. Als Erinnerung an das, was gewesen ist. Und als Mahnung.