Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Corona erschwert Arbeit der Streetworker
Ridvan Ucar setzt sich für Jugendliche und deren Probleme ein. Die sind in der Pandemie eher noch größer geworden.
ERFTTAL Wenn jemand weiß, was auf den Neusser Straßen los ist, dann ist es Ridvan Ucar – von allen schlicht Richie genannt. Das „Gastarbeiterkind“, wie er sich selbst bezeichnet, arbeitet seit 18 Jahren als Streetworker beim Sozialdienst Katholischer Männer (SKM). Insbesondere im Neusser Süden kümmert er sich um Jugendliche und junge Erwachsene, die in prekären Verhältnissen leben und deren Lebensmittelpunkt vor allem der öffentliche Raum ist. Bei ihnen, aber auch deren Eltern, bei der Polizei, sowie allen möglichen Ämtern und Institutionen sei er bekannt wie ein „bunter Hund“, sagt Richie nicht ohne Stolz. Denn das ist auch ein Ergebnis seines Engagements.
Normalerweise wäre er meist auf dem Kirmesplatz im Erfttal anzutreffen. Dort gibt es seit etwa zehn Jahren ein Containerdorf, in dem Jugendliche „chillen“können. Doch aufgrund von Corona sind dort keine Treffen mehr möglich. Seitdem suchen sich die Heranwachsenden andere Plätze: Schulhöfe, Grünanlagen, Unterstände. Sie seien wieder überall auf der Straße unterwegs, und die soziale Kontrolle sei schwieriger geworden, erzählt der Streetworker.
„Seit Ausbruch der Corona-Krise brauchen diese jungen Erwachsenen noch mehr Unterstützung“, sagt der Straßensozialarbeiter. Er versteht sich als Problemlöser in den unterschiedlichsten Bereichen. Mal hilft er einem jungen Mann, dessen Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist, mal unterstützt er andere beim Stellen von Anträgen, die an das Jobcenter oder das Sozialamt gerichtet sind. Mitunter vermittelt bei Familienproblemen oder versucht, Jugendliche von der „schiefen Bahn“zu holen. Manche der jungen Erwachsenen seien schon sehr nachlässig mit ihren Behördengängen, weiß Richie. „Der eine findet den Weg zum Amt nicht, der nächste hat irgendwelche wichtigen Papiere verlegt.“
„Doch im Moment haben wir mehr Ärger mit verschiedenen Behörden als mit den Klienten selbst“, so Richie. Denn seit der Pandemie seien viele Ämter nicht oder nur eingeschränkt erreichbar, manche würden weder auf Mails noch auf Anrufe reagieren, klagt Ucar weiter. Dabei gehe es fast immer um sehr konkrete Schwierigkeiten seiner Klientel. Deshalb begleite er einige seiner Schützlinge direkt bei Behördengängen.
Denn nicht immer seien sie es, die Fehler machten. Manche würden auch sehr ungerecht behandelt. „Ich kämpfe dann für diese Menschen“, sagt Ucar. Sein Engagement stößt bei manchen Behördenmitarbeitern unangenehm auf: „Im Jobcenter wollte mich kürzlich eine Mitarbeiterin rauswerfen mit der Begründung, ich sei nicht deren Kunde“, berichtet er. Richie blieb aber hartnäckig. Denn wäre der Fall nicht am selben Tag geklärt worden, hätte der junge Mann, für den er sich da stark machte, tags darauf seine Wohnung verloren.
„Diese jungen Menschen haben viele Probleme“, sagt Richie: Zoff mit den Eltern bis hin zu Gewalttätigkeit, Schulden beim Telefonanbieter oder Stromversorger, Spielsucht oder Drogen. Diese Probleme seien bereits vor der Corona-Pandemie da gewesen, doch jetzt werden sie massiv. Hinzu kommt, dass die Heranwachsenden nicht wissen, wohin sie gehen sollen. Manche haben Jobs oder sind in der Ausbildung. „Meist leben sie dabei aber in prekären Wohnverhältnissen, nicht jeder hat ein Kinderzimmer.“
Richie wünscht sich, dass in Corona-Zeiten mehr für diese Menschen getan wird. „Wir brauchen beispielsweise dringend Ein-Zimmer-Wohnungen und es darf auf keinen Fall im sozialen Bereich gespart werden.“Denn es gibt bereits viele Familien, die schon in dritter Generation von Sozialhilfe leben. Richie will diese Kette unterbrechen – durch Schulabschluss, Ausbildung und Job. „Wer das schafft, finanziert mich indirekt mit“, sagt der 56-Jährige, den seine Arbeit auch politisch mobilisiert hat. Ucar ist aktives SPD-Mitglied und wollte für den Stadtrat kandidieren. Für den Wahlkreis Erfttal stand er als Direktkandidat schon fest, da musste er sine Kandidatur doch zurückziehen.