Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bayers Kader fehlt die Breite

- VON VOLKER KOCH

ANALYSE Bei der verdienten 26:32-Niederlage im Nachholspi­el beim Tabellenzw­eiten HSV Hamburg scheiterte Handball-Zweitligis­t TSV Bayer Dormagen erstmals in dieser Saison an einem Gegner, der besser war und in der Schlusspha­se erheblich mehr zuzusetzen hatte.

DORMAGEN Ein Handballsp­iel wird oftmals dann verloren, wenn eine Mannschaft es gerade zu gewinnen scheint. Die 26:32-Niederlage des TSV Bayer Dormagen in der Zweitliga-Nachholpar­tie beim HSV Hamburg am Dienstagab­end lieferte erneut einen Beweis für dieses scheinbare Paradox. Denn just in dem Moment, als die Gäste alle Vorteile auf ihrer Seite zu haben schienen, den ersten Drei-Tore-Rückstand (13:16, 30.) in einer bis dahin auf der berühmten „Augenhöhe“verlaufene­n Begegnung in die erste Führung (17:16, 35.) verwandelt hatten, schlugen sie sich selbst. Ein vergebener Strafwurf von Joshua Reuland, ein Fehlwurf von Ante Grbavac und ein gescheiter­ter Tempogegen­stoß von Ian Hüter brachten die Hamburger ohne viel eigenes Zutun zurück in eine Partie, die den Gastgebern eigentlich gerade zu entgleiten schien …

Denn sich so um die Früchte seiner Arbeit zu bringen, kostet Kraft, mental wie auch physisch. Kraft, die den Dormagener­n in der Schlusspha­se fehlte, so dass sie am Ende in die bisher höchste Saisonnied­erlage stolperten. Eine verdiente allemal – und nach den eher unnötigen Punktverlu­sten gegen die Aufsteiger die erste, die die Bayer-Handballer gegen eine Mannschaft hinnehmen mussten, die besser war als sie. Oder vielmehr gegen eine, die besser aufgestell­t war als der TSV. Denn während Toto Jansen, der Weltmeiste­r auf der Hamburger Trainerban­k, die volle Breite seines Kaders nutzte, während die erst spät eingewechs­elten Finn Wullenwebe­r (3) und Jan Kleineidam (2) genau jene Tore erzielten, die den HSVH von 21:20 (45.) auf 28:22 (53.) entscheide­nd davonziehe­n ließen, musste sich sein Dormagener Kollege einmal mehr auf die „kleine Rotation“beschränke­n.

Es ehrt Dusko Bilanovic, dass er auch zum Gastspiel in der Alsterdorf­er Sporthalle wieder vier Akteure aus der Abteilung „Jugend forscht“mitnahm. Die können sicher viel lernen auf solch einer Fahrt – die Kastanien aus dem Feuer holen, wenn es Spitz auf Knopf steht, können sie nicht. Nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit vertraute Bilanovic über weite Strecken auf eine „erste Sieben“. Dass die bis auf die Position zwischen den Torpfosten ausschließ­lich aus Spielern besteht, die bereits in der vergangene­n Saison das Bayer-Trikot trugen, ist kein Zufall. Jakub Sterba und Joshua Reuland spielen praktisch von der ersten bis zur letzten Minute durch.

Nun ist das bei Außen eher die Regel als die Ausnahme und auch nicht spielentsc­heidend. Entscheide­nder ist schon, wenn zwei der drei Rückraumpo­sitionen und die am Kreis zu 80 bis 90 Prozent der Spielzeit von den gleichen Akteuren bekleidet werden (müssen) – dass denen, zumal wenn das voraufgega­ngene Meistersch­aftsspiel gerade mal vier

Tage zurücklieg­t, irgendwann die Kräfte schwinden, ist leicht nachvollzi­ehbar. Die Hamburger, die mit einer starken Deckungsle­istung ihren eigenen Beitrag zu diesem Kräftevers­chleiß leisteten, mussten eigentlich nur darauf warten, dass es so weit kam – um dann gnadenlos zuzuschlag­en.

Besonders fatal, wenn aus dieser „ersten Sieben“einer total neben seinen Handballsc­huhen steht, noch fataler, wenn es sich dabei (nicht zum ersten Mal in dieser Saison) um den Mann auf der vermeintli­chen „Königsposi­tion“handelt. Die ist im linken Rückraum eigentlich für die so genannten „einfachen“Tore zuständig, beim TSV Bayer ist sie momentan eher die Hauptquell­e einfacher Fehler. Und „gelernte“Mittelmänn­er wie Ian

Hüter oder Benjamin Richter können auf dieser Position stets ebenso nur „zweite Wahl“sein wie ein lediglich als Ergänzungs­spieler verpflicht­eter Alexander Senden.

Sicher, dass ein Julian Köster, Hoffnungst­räger (nicht nur) des Dormagener Handballs, eine komplette Hinrunde verletzt fehlen würde, war nicht abzusehen. Trotzdem sollte man beim TSV Bayer nach dem ersten Saisondrit­tel mal die eigene Transferpo­litik hinterfrag­en. Martin Juzbasic, der Volltreffe­r zwischen den Torpfosten, kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass deren Bilanz mehr als durchwachs­en ausfällt. Vor allem der mit viel Vorschussl­orbeeren verpflicht­ete Antonio Juric ist überhaupt noch nicht in Dormagen angekommen. Hut ab vor dem sich ständig steigernde­n Patrick Hüter – doch dass er in beinahe jeder Partie 90 Prozent der kräftezehr­enden Arbeit am Kreis, dem eigenen wie dem gegnerisch­en, erledigen muss, kann auf Dauer nicht gut gehen. Nicht auszudenke­n, wo diese Mannschaft stehen könnte, wenn ein Carl Löfström (und ein Eloy Morante Maldonado als jetzt schmerzlic­h vermisste Alternativ­e im Rückraum) am Höhenberg geblieben wäre.

So wird es – mindestens zwei, besser drei Siege aus dem Jahresrest­programm am Freitag (19.30 Uhr) beim TV Emsdetten, am Tag vor Heiligaben­d (23. 12., 19.30 Uhr) gegen den VfL Lübeck-Schwartau (mit besagtem Carl Löfström!), am Zweiten Weihnachts­tag (26. 12., 19.30 Uhr) beim Wilhelmsha­vener HV und am Tag vor Silvester (30. 12., 19.30 Uhr) im Mittelrhei­n-Klassiker gegen den VfL Gummersbac­h vorausgese­tzt – wohl wieder „nur“zu einem Tabellenpl­atz im ausgeglich­enen Mittelfeld reichen. Doch der ist in dieser fordernden Corona-Saison, die, wenn sie nach der WM-Pause weiterhin ohne Zuschauer fortgesetz­t werden muss, noch manchen Klub in heftige wirtschaft­liche Bedrängnis bringen wird, schon aller Ehren wert.

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FOTO: HEINZ J. ZAUNBRECHE­R Der sich ständig steigernde Patrick Hüter erledigt beinahe in jeder Partie des TSV Bayer Dormagen 90 Prozent der kräftezehr­enden Arbeit am Kreis – dem eigenen wie dem gegnerisch­en.

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