Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Corona-Pandemie macht Kinder träge“
Kinder-Psychologin Ewa Cionek-Szpak erklärt, wie sich die derzeitige Krise auf den Nachwuchs auswirkt.
KAARST (seeg) Von Mitte Dezember bis Ende Februar haben viele Kinder zu Hause gesessen. Ohne soziale Kontakte, ohne Schule. Wie hat sich das auf die Psyche der Kinder und der Eltern ausgewirkt? Das erklärt Ewa Cionek-Szpak, Chefärztin an der Oberberg Fachklinik in Kaarst und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Laut der Copsy-Studie (Corona und Psyche) der Universität Hamburg hat sich die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf der Pandemie verschlechtert. Fast jedes dritte Kind leide heute unter psychischen Auffälligkeiten, Sorgen und Ängste hätten noch einmal zugenommen. Experten beobachten auch verstärkt depressive Symptome.
Bei der Studie wurden rund 1000 Kinder zweimal befragt – einmal nach dem ersten Lockdown, ein zweites Mal im Dezember und Januar.
Im gleichen Zeitraum wurden 1500 Eltern von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 17 Jahren befragt. Auffällig: Haben bei der ersten Befragung noch 70 Prozent angegeben, dass die Situation äußerst belastend ist, waren es bei der zweiten 85 Prozent. „Die meisten haben wohl gedacht oder gehofft, dass die Pandemie nach ein paar Wochen wieder vorbei ist“, glaubt Cionek-Szpak. Auch die dunkle Jahreszeit habe ihren Teil dazu beigetragen, denn im Winter fühlten sich viele Kinder und Jugendliche ohnehin ängstlicher.
Ein neues Krankheitsbild sei nicht entstanden. Allerdings sei die Zahl der Patienten in der Pandemie gestiegen. „Man kann es generell so bezeichnen, dass Patienten, die schon vorher unter leichten Störungen gelitten haben, durch die Pandemie stärker betroffen sind“, sagt die Psychiaterin und Psychotherapeutin: „Die Pandemie hat das deutlich verstärkt.“Allerdings glaubt Cionek-Szpak auch, dass alle Familien eine Belastung gespürt haben. Viele Kinder seien antriebslos gewesen, kämen morgens nicht aus dem Bett und wären permanent unmotiviert. „Das führt automatisch zu Auseinandersetzungen mit den Eltern“, sagt Cionek-Szpak. Hinzu komme in vielen Fällen Existenzängste
der Eltern. Für Familien, die eine gute Struktur hätten, bedeute dies zwar eine Mehrbelastung, aber sie bewältigten die Probleme. Andere Familien bräuchten Hilfe.
Auch Essstörungen hätten zugenommen. „Es fehlt an gewohnter Struktur und an Leistungsanspruch in der Schule. Das restriktive Essen hilft Vielen, dem Kontrollverlust entgegenzuwirken und sich zu beweisen, indem sie an ihrer Figur arbeiten“, sagt Cionek-Szpak: „Kinder mit Übergewicht versinken dagegen komplett in ungünstigen Ernährungsmustern und körperlicher Passivität.“Corona habe dazu geführt, dass die Kinder träge geworden seien und weniger Eigeninitiative zeigten. „Die meisten Menschen, ob jung oder alt, fühlen sich emotional belastet. Wenn die Niedergeschlagenheit aber durchgängig anhält, man über Wochen nicht mehr in der Lage ist, zu lachen, sollte man sich Hilfe suchen.“