Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der Philosoph der Kindheit
Heiterer Moralist, antiautoritärer Märchenerzähler: Janosch, der Schöpfer der Tigerente, wird am 11. März 90 Jahre alt. Sein Kosmos ist bevölkert von lässigen Pflichtverweigerern wie dem Siebenschläfer Pietzke und dem Reise-Esel Mallorca.
Janosch hat mal gesagt, weil er keine Kindheit gehabt habe, müsse er sie nun ewig nachholen. Er wurde als Horst Eckert 1931 im oberschlesischen Zabrze geboren. Der Vater trank und züchtigte den Sohn mit der Pferdepeitsche. Janosch flüchtete sich in die Lektüre des „Robinson Crusoe“, und als er alt genug war, floh er wirklich. Er ging zur Textilfachschule in Krefeld, dann nach München. Und er begann zu malen, weil er nicht mehr arbeiten wollte, sagte er. „Ich wollte nicht mit den Fingern zwischen die Zahnräder geraten.“In München bekam er seine ersten Aufträge, und sein Verleger riet ihm, den Namen Janosch beizubehalten, unter dem er ihm wegen einer Verwechslung im Sekretariat vorgestellt worden war.
Noch eine schöne Erzählung: „Der Frosch, der fliegt“. Ein Frosch kündigt an, er würde fliegen. „Mit Flügeln?“, fragen die anderen. Nein, sagt der Frosch, einfach so: „Er habe plötzlich in sich drinnen das Fliegen begriffen, und deshalb könne er jetzt fliegen.“Natürlich lachen ihn alle aus. Aber das macht dem Frosch nichts. Am angekündigten Tag geht er „gelassen und ohne Aufregung durch die Menge. War nur mit seiner alten Jacke bekleidet und hatte nach Art der Künstler einen Künstlerschal um den Hals geschlungen“. Schließlich warf er alles von sich und flog davon. Und die anderen? „Sie haben das gesehen, aber sie haben es nicht geglaubt.“
Janoschs frühe Bücher erreichten wenige Leser. Erst Ende der 70er-Jahre kam der große Erfolg. Tiger und Bär fielen Janosch angeblich auf Ibiza nach zwei Cuba Libre ein. Und die Tigerente, die zu seinem Markenzeichen, ja: zu einer Marke an sich wurde, spielte in der ersten Geschichte über die beiden Freunde nur eine Nebenrolle. Janosch vermarktete in den 80er-Jahren seine Arbeiten, bot Postkarten an, Designs für Lizenznehmer und Discounter, verkaufte Merchandise. Er selbst lebte wild, so heißt es, der Rückzug nach Teneriffa wirkte wie eine Rettung.
Man weiß nicht so viel über den privaten Janosch, er erzählt auch über sich viele Geschichten. Er soll stark granteln, hört man. Die Tigerente hat er als „Mist“und „Kitsch“bezeichnet, und der Tiger hänge ihm zum Hals raus. Zudem klagte er des Öfteren über die Vermarktung seiner Ideen, die ohne seine Mitwirkung abläuft, seit er die Zusammenarbeit mit der AG, die sein Werk bündelt, beendet hat.
Man stellt sich jedenfalls vor, wie er in der Hängematte liegt und sich über den breiten Schnauz streicht. Wie er in sich drinnen die Lässigkeit begriffen hat. Wie in seinem Kopf diese einfach anmutenden, aber wahrscheinlich mühsam auf den Kern und den Sound reduzierten Sätze diffundieren. Und wie er sich freut über die Details, die er in seinen Zeichnungen versteckt. Man muss nur mal darauf achten, wie oft in Janosch-Häusern Pilze am Bindfaden von der Decke oder an einem Holzbalken baumeln.
Eine letzte Geschichte noch: „Kleiner Hase Baldrian“. Sie beginnt so: „Dort unten, wo der Fluss sich durch die Wiesen windet, bei den Bäumen und Sträuchern, weht der Wind sanft über die Grashalme, als wäre nichts.“Hier lebt der Hase Baldrian, und es könnte alles schön sein, wenn da nicht die Wilder-Hund-Bande wäre, die alle terrorisiert. Doch der Hase Baldrian bekommt es hin, dass der Terror endet. Und er bekommt es außerdem hin, dass der Jäger einen Bogen um das Dorf macht. Und zwar alles „ohne Kraft, ohne scharfe Zähne“. Baldrian lebt in einer Hütte auf der Wiese und isst jeden Tag drei Pfoten voll Gras. Das ist alles.
Vielleicht ist Janosch ein bisschen wie der Hase Baldrian. Vielleicht ist Teneriffa seine Wiese und die Hängematte seine Hütte. Jedenfalls endet die Geschichte von Baldrian mit diesem Satz: „Aber so lange er dort lebte, war alles gut.“