Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Vielen Menschen droht Armut“
Der SPD-Fraktionschef und kommende Landesvorsitzende spricht über die Corona-Politik der NRW-Regierung, die Machtoptionen für seine Partei und seinen Wunschnachfolger für Armin Laschet.
Herr Kutschaty, die SPD in NRW steckt in einem historischen Umfragetief und kommt nur noch auf 17 Prozent. Woran liegt es? THOMAS KUTSCHATY Da kommt aktuell vieles zusammen. Die CoronaKrise, die gemeinhin als Stunde der Exekutive wahrgenommen wird. Auch die Wahl von Armin Laschet zum Bundesvorsitzenden der CDU hat sicher kurzzeitig für Popularität gesorgt. Das kann sich jedoch auch schnell wieder ändern. Aber Sie haben Recht. Die Umfragewerte sind zurzeit verdammt schlecht. Ich bin hochmotiviert, daran als nächster Parteivorsitzender etwas zu ändern.
Es gibt aber auch innerparteiliche Gründe. Zuletzt lieferten Sie sich einen unschönen Machtkampf mit SPD-Landeschef Sebastian Hartmann, den Sie jetzt ablösen wollen. Warum musste es dazu kommen? KUTSCHATY Es ging mir darum, der Partei ein Angebot zu machen. Wenn sich verschiedene Kandidaten um Spitzenpositionen bewerben, nennt man das Demokratie. In der SPD darf jede und jeder seine Meinung äußern.
Die NRW-Grünen hatten auch einen Machtwechsel, der aber vergleichsweise geräuschlos verlief, sie kommen als Oppositionspartei in NRW zurzeit auf 24 Prozent. Was macht die SPD falsch?
KUTSCHATY Auch die Umfragewerte der Grünen können noch schwanken, das haben wir in der Vergangenheit oft gesehen. Darauf würde ich mich also nicht verlassen. Inhaltlich hat die SPD dafür in den vergangenen Monaten in vielem recht behalten: Heute sprechen alle über Tests und wie wichtig sie sind, um die Pandemie zu bekämpfen. Wir fordern das schon seit Monaten. Während meiner Krankenhaustour im vergangenen Sommer habe ich frühzeitig vor einer zweiten Welle gewarnt. Da ist der Ministerpräsident noch quer durch Europa getourt. Und schon vor Weihnachten waren wir für den Wechselunterricht an Schulen, wie wir ihn erst jetzt haben. Das zeigt doch, dass wir den richtigen Kompass und auch die richtigen Konzepte zur Pandemiebekämpfung haben. Vielleicht müssen wir sie nur noch etwas besser rüberbringen. Dafür will ich mich richtig ins Zeug legen.
Wie wollen Sie als voraussichtlicher Landesvorsitzender und Spitzenkandidat die SPD in NRW zu alter Stärke zurückführen?
KUTSCHATY Das Land braucht nach der Pandemie einen sozialen Neustart. Die Frage ist doch: Was kommt nach dem Applaus? Unsere Leistungsträgerinnen und Leistungsträger – die Helden des Alltags – müssen endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben. Von Applaus kann man sich nichts kaufen. Im Gegenteil: Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, dann droht vielen Menschen sogar Armut. Das Kurzarbeitergeld, und die Möglichkeit, die Insolvenzantragspflicht oder Kreditraten auszusetzen – all das sind übrigens sozialdemokratische Errungenschaften – überlagern noch vieles.
Nehmen Sie die Jungwähler. Viele sympathisieren mit „Fridays for Future“und den Grünen. Wie wollen Sie die für die SPD begeistern? KUTSCHATY Der Klimaschutz steht auch bei uns ganz oben. Wir müssen ein Jahrzehnt des Fortschritts einläuten. Dabei muss der Schutz der Arbeitsplätze und des Klimas kein Widerspruch sein. Nehmen Sie das Beispiel Stahlindustrie. Die Produktion von grünem Stahl, wie sie Thyssenkrupp jetzt forciert, sichert ja gerade die Jobs der Stahlarbeiter. Da können Arbeitnehmer und „Fridays for Future“gemeinsam auf die Straße gehen und dafür demonstrieren.
Rot-Grün allein hätte zurzeit keine Mehrheit. Was ist mit der FDP? KUTSCHATY Es ist kein Geheimnis, dass SPD und Grüne die größte politische Schnittmenge haben. Aber es gibt durchaus auch mit den Liberalen Übereinstimmungen.