Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Eine Öffnungsstrategie ist überfällig“
Der IHK-Hauptgeschäftsführer spricht über die Erwartungen der Wirtschaft an die Bund-Länder-Runde.
Herr Steinmetz, in vielen Branchen geht die Existenzangst um? Was erwartet die IHK von der Bund-Länder-Runde am 3. März?
JÜRGEN STEINMETZ Eine Öffnungsstrategie ist überfällig. Aus unserer Sicht können die Einzelhandelsgeschäfte unter Hygieneauflagen am kommenden Montag wieder öffnen. Für die Gastronomie erwarten wir ebenfalls eine kurzfristige Perspektive – insbesondere für die Außengastronomie. Ich wünsche mir angesichts von Massenimpfungen und der Verfügbarkeit von Schnelltests ein Signal zum Aufbruch. Gesundheitsschutz und verantwortungsvolles Wirtschaften schließen sich nicht aus.
Wo besteht besonderer Handlungsbedarf?
STEINMETZ Ich spreche mich für ein branchenübergreifendes Öffnungskonzept aus, um auf diese Weise den Eindruck von Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung zu vermeiden. Alle Branchen verfügen über gut funktionierende Hygiene-Konzepte. Dies schließt nicht aus, dass in Bereichen mit besonders hohem Infektionsrisiko Sonderregelungen erforderlich sind.
Bislang fehlt es an einer Öffnungsund Planungsperspektive. Wie könnte eine solche aussehen? STEINMETZ Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Der Zusammenschluss der 16 Industrie- und Handelskammern in NRW hat in Abstimmung mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) dazu konkrete Vorschläge gemacht. Mit der Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl an Schnelltests sowie der weiteren Fortsetzung der Massenimpfungen werden Hygienestandards nicht weniger wichtig, aber die komplette Schließung von Unternehmen ist dann meines Erachtens nicht mehr notwendig. Digitale Möglichkeiten sollten konsequenter genutzt und Schnelltests als strategisches Instrument zur Eindämmung der Pandemie etabliert werden. Auch für die Industrie ist Planbarkeit wichtig. Wir dürfen daher die Lieferketten nicht durch Restriktionen an den Grenzen beschädigen.
Zuletzt wurde der Inzidenzwert, der für Öffnungen maßgeblich sein soll, wieder mit landesweit 35 definiert. Zuvor lag er bei 50. Ist das mit Blick auf Unternehmer und Beschäftigte, die angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie um ihren Betrieb beziehungsweise ihre Arbeitsplätze bangen, noch vermittelbar? STEINMETZ Nach den Gesprächen, die wir nach der letzten Bund-Länder-Konferenz geführt haben, muss ich sagen, dass das Verständnis der Unternehmen für diese Politik erschöpft ist. Wir sind nicht mehr in der Startphase der Pandemie, nutzen aber die gleichen Instrumente. Der Inzidenzwert alleine ist zudem nicht aussagekräftig. Politik muss berechenbar sein und ist verpflichtet, unsere Gesellschaft so wenig wie nötig einzuschränken. Bei der vergangenen Bund-Länder-Konferenz ist viel Vertrauen verspielt worden. Gerade deswegen ist in dieser Woche ein starkes Signal in Richtung Wirtschaft wichtig.
Wie sieht es mit der Auszahlung der Corona-Hilfen aus? Stockt es immer noch?
STEINMETZ Es hat im Laufe des Februars Verbesserungen bei der Auszahlung der November- und Dezemberhilfe
gegeben. Das war aber zu spät. Das muss bei den weiteren Hilfsprogrammen schneller werden. In diesen Tagen soll es zu einer Beschleunigung bei Direktanträgen kommen. Und dann hoffen wir, dass die Zeit zwischen Beantragung und Auszahlung bei der Überbrückungshilfe III nicht ebenso lange dauert. Hier erwarte ich, dass Mitte März ausgezahlt werden kann. Wir wissen von vielen Unternehmen, dass sie mit der Beantragung noch abwarten, weil noch nicht alle Punkte aus diesem Förderprogramm eindeutig definiert sind. Das betrifft insbesondere das Thema „Saisonware“bei Einzelhändlern. Angesichts der langen Vorbereitungszeit sind diese Ungenauigkeiten nicht akzeptabel. Über die Hilfen hinaus erwarte ich von der Politik kluge Investitionsanreize und steuerpolitische Weichenstellungen – nur so werden wir die Krise meistern.