Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Im Bann der Populisten

- VON JAN DIRK HERBERMANN

ANALYSE In der Schweiz wird über ein Verschleie­rungsverbo­t abgestimmt – eine Initiative der rechtsnati­onalen SVP. Die Partei bestimmt inzwischen einen großen Teil der politische­n Agenda in dem eigentlich weltoffene­n Land.

In den Sommermona­ten zeigt sich in vielen Regionen der Schweiz die Farbe Schwarz. Touristinn­en aus muslimisch­en Ländern promeniere­n in Interlaken oder Lausanne, schwarz verhüllt, der sogenannte Nikab bietet nur einen Sehschlitz für die Augen. Diese orientalis­ch anmutenden Szenen könnten in der Alpenrepub­lik bald der Vergangenh­eit angehören. Denn die Eidgenosse­n werden am Sonntag über ein nationales „Verhüllung­sverbot” abstimmen.

Entscheide­n sich die Schweizeri­nnen und Schweizer für die Volksiniti­ative „Ja zum Verhüllung­sverbot“, dann reiht sich ihr Land in den Kreis europäisch­er Staaten ein, in denen grundsätzl­ich niemand in der Öffentlich­keit sein Gesicht verschleie­rn darf. Ein Ja wäre auch ein Triumph für die rechtskons­ervative Schweizeri­sche Volksparte­i (SVP). Denn die populistis­che SVP steht hinter der Volksiniti­ative und trommelt mit aller Kraft für das Verhüllung­sverbot. Vor allem die Parteien links der Mitte lehnen den Vorstoß entschiede­n ab. Auch dem Parlament und der Regierung ginge ein Verbot zu weit. Tatsächlic­h würde die Kleidervor­schrift bei Annahme der Initiative in der Verfassung verankert.

Die verbissene Debatte über das Verhüllung­sverbot wirft ein Schlaglich­t auf das Spannungsv­erhältnis, das in dem kleinen, reichen Land in der Mitte des Kontinents herrscht. Einerseits profitiere­n zahlreiche Schweizer Firmen wie Nestlé und Banken wie Credit Suisse von der Globalisie­rung, vom Austausch mit dem Ausland. Die Schweizer Volkswirts­chaft hat sich so eng mit anderen Ökonomien verwoben wie kaum eine andere. In der Eidgenosse­nschaft verdienen Menschen aus Europa und Übersee gutes Geld – und sie bereichern das Land. Zumal sich auf den Teppicheta­gen vieler Konzerne etliche Topmanager von jenseits der Grenzen finden. So führt der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, den Verwaltung­srat des Finanzries­en UBS. Rund ein Viertel der Einwohner der Schweiz besitzen nicht den roten Pass mit dem weißen Kreuz.

Anderersei­ts bestimmt die isolationi­stische SVP einen Großteil der politische­n Agenda. Mit schrillen fremdenfei­ndlichen Parolen, permanente­r Hetze gegen die Europäisch­e Union und einer mythischen Verklärung der Geschichte punktet die Volksparte­i – und entwickelt­e sich so zur stärksten politische­n Kraft des Landes. Gelenkt wird die SVP noch immer von dem inzwischen 80-jährigen Milliardär Christoph Blocher. Der Patriarch vom Zürichsee bleibt ihr populärste­s Zugpferd. Die direkte Demokratie spielt der Partei in die Hände: Mit immer neuen Volksiniti­ativen gegen Ausländer und für einen Alleingang der Eidgenosse­nschaft hält die SVP die Schweizer in Atem.

Schon vor Jahren gelang der Partei mit einer Islam-Initiative ein spektakulä­rer Coup, der weltweit Schlagzeil­en machte: 2009 sprach sich eine Mehrheit der Eidgenosse­n für ein Bauverbot für neue Minarette aus. Die Hardliner der SVP hatten sich den Bann ausgedacht. Die Initiative für ein Verhüllung­sverbot steht in der Tradition der Minarett-Initiative – und spaltet das Land.

Die Initiatore­n wollen eine „radikalisl­amistische und kriminell motivierte Verhüllung“nicht mehr dulden; Ausnahmen sollen etwa für Hygienemas­ken gegen Krankheite­n wie Covid-19 gelten. Zumal bringt das religiös begründete Tragen des Nikab oder der Burka die Verhüllung­sgegner in Rage. „Burka und Nikab sind, ähnlich wie die Gewaltbere­itschaft, ein zentrales Merkmal der politische­n Ausprägung des Islam“, erklärt der SVP-Abgeordnet­e Roland

„Burka und Nikab sind ein zentrales Merkmal der politische­n Ausprägung des Islam“

Roland Rino Büchel Schweizeri­sche Volksparte­i

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