Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Im Bann der Populisten
ANALYSE In der Schweiz wird über ein Verschleierungsverbot abgestimmt – eine Initiative der rechtsnationalen SVP. Die Partei bestimmt inzwischen einen großen Teil der politischen Agenda in dem eigentlich weltoffenen Land.
In den Sommermonaten zeigt sich in vielen Regionen der Schweiz die Farbe Schwarz. Touristinnen aus muslimischen Ländern promenieren in Interlaken oder Lausanne, schwarz verhüllt, der sogenannte Nikab bietet nur einen Sehschlitz für die Augen. Diese orientalisch anmutenden Szenen könnten in der Alpenrepublik bald der Vergangenheit angehören. Denn die Eidgenossen werden am Sonntag über ein nationales „Verhüllungsverbot” abstimmen.
Entscheiden sich die Schweizerinnen und Schweizer für die Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“, dann reiht sich ihr Land in den Kreis europäischer Staaten ein, in denen grundsätzlich niemand in der Öffentlichkeit sein Gesicht verschleiern darf. Ein Ja wäre auch ein Triumph für die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP). Denn die populistische SVP steht hinter der Volksinitiative und trommelt mit aller Kraft für das Verhüllungsverbot. Vor allem die Parteien links der Mitte lehnen den Vorstoß entschieden ab. Auch dem Parlament und der Regierung ginge ein Verbot zu weit. Tatsächlich würde die Kleidervorschrift bei Annahme der Initiative in der Verfassung verankert.
Die verbissene Debatte über das Verhüllungsverbot wirft ein Schlaglicht auf das Spannungsverhältnis, das in dem kleinen, reichen Land in der Mitte des Kontinents herrscht. Einerseits profitieren zahlreiche Schweizer Firmen wie Nestlé und Banken wie Credit Suisse von der Globalisierung, vom Austausch mit dem Ausland. Die Schweizer Volkswirtschaft hat sich so eng mit anderen Ökonomien verwoben wie kaum eine andere. In der Eidgenossenschaft verdienen Menschen aus Europa und Übersee gutes Geld – und sie bereichern das Land. Zumal sich auf den Teppichetagen vieler Konzerne etliche Topmanager von jenseits der Grenzen finden. So führt der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, den Verwaltungsrat des Finanzriesen UBS. Rund ein Viertel der Einwohner der Schweiz besitzen nicht den roten Pass mit dem weißen Kreuz.
Andererseits bestimmt die isolationistische SVP einen Großteil der politischen Agenda. Mit schrillen fremdenfeindlichen Parolen, permanenter Hetze gegen die Europäische Union und einer mythischen Verklärung der Geschichte punktet die Volkspartei – und entwickelte sich so zur stärksten politischen Kraft des Landes. Gelenkt wird die SVP noch immer von dem inzwischen 80-jährigen Milliardär Christoph Blocher. Der Patriarch vom Zürichsee bleibt ihr populärstes Zugpferd. Die direkte Demokratie spielt der Partei in die Hände: Mit immer neuen Volksinitiativen gegen Ausländer und für einen Alleingang der Eidgenossenschaft hält die SVP die Schweizer in Atem.
Schon vor Jahren gelang der Partei mit einer Islam-Initiative ein spektakulärer Coup, der weltweit Schlagzeilen machte: 2009 sprach sich eine Mehrheit der Eidgenossen für ein Bauverbot für neue Minarette aus. Die Hardliner der SVP hatten sich den Bann ausgedacht. Die Initiative für ein Verhüllungsverbot steht in der Tradition der Minarett-Initiative – und spaltet das Land.
Die Initiatoren wollen eine „radikalislamistische und kriminell motivierte Verhüllung“nicht mehr dulden; Ausnahmen sollen etwa für Hygienemasken gegen Krankheiten wie Covid-19 gelten. Zumal bringt das religiös begründete Tragen des Nikab oder der Burka die Verhüllungsgegner in Rage. „Burka und Nikab sind, ähnlich wie die Gewaltbereitschaft, ein zentrales Merkmal der politischen Ausprägung des Islam“, erklärt der SVP-Abgeordnete Roland
„Burka und Nikab sind ein zentrales Merkmal der politischen Ausprägung des Islam“
Roland Rino Büchel Schweizerische Volkspartei