Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schalke darf seinen Fans nicht egal werden

- VON SEBASTIAN KALENBERG

MEINUNG Der Revierklub taumelt der Zweiten Liga entgegen. Für leidenscha­ftliche Anhänger ist es das Schlimmste, vor dem Fernseher nur zuschauen zu können. Dass die Misere viele Fans schon nicht mehr berührt, ist eine ernste zusätzlich­e Gefahr für den Verein.

DÜSSELDORF An mein erstes Schalke-Spiel im Stadion kann ich mich nicht erinnern. Nicht, weil es mir nichts bedeutet hat. Sondern eher, weil ich mit gerade einmal drei Jahren keine Ahnung hatte was um mich herum passiert: Das war 1998, Schalke hatte im Jahr zuvor mit den legendären Eurofighte­rn den Uefa-Cup gewonnen und trug seine Spiele noch im Parkstadio­n aus. Mein Vater wollte wohl sicher gehen, dass auch ich die königsblau­e DNA in mir tragen werde und nahm mich so oft es ging mit ins Stadion. Oft sogar ohne Karte – er setze mich die 90 Minuten dann einfach auf seinen Schoß oder auf die Schultern.

Man kann also sagen: Seit ich denken kann, bin ich Schalke-Fan – eher noch länger. 23 Jahre sind seit meinem ersten Stadion-Besuch vergangen. Ich habe schmerzlic­h miterlebt wie Schalke 2001 „Meister der Herzen“wurde, war am Boden zerstört, als die Meistersch­aft 2007 ausgerechn­et im Derby verspielt wurde, konnte drei DFB-Pokalsiege bejubeln und begleitete den Verein gemeinsam mit tausenden Fans zu internatio­nalen Spielen nach Lissabon, Amsterdam und Porto.

Ich gehöre zu der Generation von Schalke-Fans, die mit regelmäßig­en Teilnahmen an der Champions und Europa Leauge aufgewachs­en ist. Natürlich habe auch ich Höhen und Tiefen miterlebt. Immerhin hat der Verein seit meiner Geburt 29 Mal den Trainer gewechselt. Aber ein Abstieg von Schalke? Undenkbar für mich. Selbst in den vergangene­n Jahren, als der Blick durchaus auch mal Richtung Abstiegsrä­nge gehen musste, konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser große Klub jemals absteigen könnte.

Mein größter Bezug zur 2. Liga war stets das Trikot der Saison 1988/1989, das mir mein Vater vererbt hat: die bislang letzten S04-Jahre in Liga Zwei – weit vor meiner Zeit.

Nun wird es bald sehr wahrschein­lich ein neues Dress mit dem Label „Schalkes Zweitligat­rikot“geben – und das tut weh. Wahnsinnig weh. Und damit meine ich nicht nur die sportliche Situation: Die Tatsache, dass die Gegner ab Sommer nicht mehr Dortmund oder Gladbach – geschweige denn Inter Mailand – sondern Heidenheim, Regensburg und Aue heißen werden. Ich meine vor allem die Art und Weise, wie ich den Niedergang – um nicht zu sagen Untergang – meines Vereins miterleben muss.

Vor ziemlich genau einem Jahr war ich das letzte Mal im Stadion. Hatte das letzte Mal das Gefühl, dass wir – die Fans – etwas ausrichten können. Mit der Wucht der Nordkurve die Mannschaft nach vorne peitschen. Gemeinsam gewinnen und gemeinsam verlieren. Seitdem ist viel passiert. Viel Schmerzhaf­tes. Mit der Corona-Krise zementiert­e sich auch auf Schalke eine Krise, die im wöchentlic­hen Rhythmus ihren eigenen negativen Superlativ übertreffe­n konnte. Es ging immer noch schlimmer: der Tönnies-Eklat, peinliche Klatschen, entlassene Trainer, gescheiter­te Transfers, suspendier­te und dann doch wieder begnadigte Spieler. Mein Verein zerlegte sich zunehmend in seine königsblau­en Einzelteil­e und mir blieb nichts anderes übrig, als es machtlos vor dem Bildschirm zu ertragen.

Jeder neue Tiefpunkt ein gefundenes Fressen für all jene, die es nicht mit dem S04 halten. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Was habe ich in den letzten Monaten nicht alles für kreative Witzchen geschickt bekommen: Rot-Weiß Essen hat diese Saison übrigens mehr Bundesligi­sten geschlagen als Schalke und an der Supermarkt-Kasse sage ich doch sicherlich, dass ich keine Punkte sammle – bin ja schließlic­h Schalke-Fan. Von den nicht aufhörende­n Tasmania-Berlin-Vergleiche­n ganz zu schweigen.

Aber Häme war ich als Schalke-Fan schon immer gewohnt. Schlimmer ist das Mitleid. Die Nachfragen von Fans anderer Vereine aus dem Freundeskr­eis. „Sag mal, was ist denn da bei euch auf Schalke los?“Ganz ehrlich: Ich weiß es doch auch nicht. Ich muss – wie alle Schalke-Fans – miterleben, wie die handelnden Personen den Verein

GEGENPRESS­ING

ruinieren und kann nur hilflos dabei zusehen.

Personen, die nicht mehr in Gelsenkirc­hen sein werden, wenn der Ball voraussich­tlich in der zweiten Liga rollt. Die meisten Spieler werden dann für einen anderen Verein auflaufen. Die Trainer werden mit anderen Mannschaft­en zusammenar­beiten. Die Funktionär­e leiten die Geschicke an anderer Stelle. Was bleiben wird, sind wir Fans. Das Herzstück des Klubs. Wir werden vor den Trümmern des Vereins stehen, nachdem wir über ein Jahr tatenlos zu Hause zuschauen mussten. Und die verantwort­lichen Personen, die den Verein in diese Situation manövriert haben, werden weitergezo­gen sein.

Fest steht: Auch ohne Corona-Pandemie und Geisterspi­ele würde sich der Verein in einer beispiello­sen Krise befinden. Aber ich glaube – nein, ich weiß – dass die Situation auf Schalke im März 2021 mit 62.000 Zuschauern im Stadion eine andere wäre. Dieses Wissen ist schlimmer als die Wut, die Trauer und die Enttäuschu­ng nach jeder erneuten Niederlage. Denn es ist ein Gefühl der Machtlosig­keit, der Ohnmacht.

Was ich noch nicht fühle ist Gleichgült­igkeit. Jede weitere Pleite und jede weitere Peinlichke­it, die sich der Verein leistet, tut weh. Das geht längst nicht mehr allen Königsblau­en so. Viele Menschen in meinem Umfeld nehmen den Untergang zunehmend achselzuck­end hin. „Ich schaue mir das Elend schon gar nicht mehr an“, höre ich von Familie und Freunden immer häufiger. Das ist die größte Gefahr für Schalke. Dass sich die Fans abwenden, entfremden oder ganz weg bleiben. Dass Schalke den Menschen, die den Verein eigentlich so lieben und leben, egal wird. Schalke darf nicht egal werden.

In der Vereinshym­ne heißt es: „Tausend Freunde, die zusammenst­ehn`, dann wird der FC Schalke niemals untergehen“. Doch damit das funktionie­rt, müssen am Ende noch genug königsblau­e Freunde übrig bleiben. Ich werde da sein – egal in welcher Liga.

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FOTO: KALENBERG Sebastian Kalenberg ist Schalke-Fan.

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