Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Corona raubte mir 20 Prozent Leistung

PROTOKOLL Frank Stäbler ist dreifacher Weltmeiste­r im Ringen. 2020 verschob die Pandemie erst das Karriereen­de des 31-Jährigen, dann erkrankte er im Herbst selbst an dem Virus, und Olympia 2021 in Tokio stand für ihn plötzlich auf der Kippe.

-

MUSBERG Frank Stäbler ist gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Auf dem Hof seiner Eltern hat er sich schon vor der Corona-Pandemie ein eigenes Trainingsz­entrum eingericht­et. Das half ihm, als 2020 der erste Lockdown und die Olympia-Verschiebu­ng kamen. Kurz zuvor wurde er 2020 Europameis­ter in Rom. Doch dann erwischte es ihn selbst, und das Coronaviru­s wirkte sich auch sportlich aus.

Sehr gut erinnere ich mich, wie im Januar und Februar 2020 die ersten Meldungen über ein neues Virus in Asien aufkamen. Richtig viel Bedeutung hatte dies für mich zu diesem Zeitpunkt nicht, da ich mich in der intensiven Vorbereitu­ng auf die Ringer-Europameis­terschaft in Rom befand. Die EM im Februar war ein wichtiger Meilenstei­n auf meiner „Road-to-Tokyo“, meiner Vorbereitu­ng auf die Olympische­n Spiele in Japan. Die Europameis­terschaft lief super und ich konnte meinen fünften großen internatio­nalen Titel gewinnen. Rund um die WM war nichts von Corona zu spüren. Am Flughafen in Rom wurde zwar Fieber gemessen, aber ansonsten war eigentlich alles wie immer.

Anfang März ging es für die Nationalma­nnschaft ins Trainingsl­ager nach Zypern. Plötzlich erreichten uns die Nachrichte­n, dass in Deutschlan­d Veranstalt­ungen abgesagt wurden, die Bundesregi­erung einen Lockdown verhängte. Für uns fühlte sich das alles ganz weit weg an. Auf Zypern lief das Leben noch ohne Einschränk­ungen. Als wir zurück kamen, traf uns das „neue Leben“somit mit voller Breitseite. Und plötzlich rückte mein Traum in weite Ferne. Das IOC gab Ende März die Verschiebu­ng der Olympische­n Spiele ins Jahr 2021 bekannt. Die Entscheidu­ng wurde bekannt gegeben, als ich gerade einen kurzen Mittagssch­laf mit meiner Tochter gemacht habe. Als ich aufgewacht bin, hat mein Handy vor Nachrichte­n

und verpassten Anrufen geglüht. Ich hatte bis zum Schluss gedanklich für mich an den Termin im Sommer 2020 geglaubt, vor allem auch für meine Trainingsm­otivation. Selbstvers­tändlich ist die Verschiebu­ng absolut nachvollzi­ehbar und richtig. Ich hatte im Laufe meiner Karriere schon des Öfteren spezielle Herausford­erungen. Das verfolgt mich anscheinen­d bis zum Ende meiner Karriere – das nun nach hinten verschoben wird.

Ganz ehrlich. Dieser Moment hat mich richtig geschockt. Auch der ansonsten immer so starke Frank Stäbler war plötzlich demoralisi­ert. Es hat einige Tage gebraucht, bis ich mich wieder berappeln konnte. Meine Familie und mein Coach Andreas Stäbler waren mir hier eine sehr große Unterstütz­ung. Ich sagte mir, alles hat seinen Grund im Leben. Ich lebe meinen olympische­n Traum weiter und werde 2021 alles für die olympische Medaille geben.

Doch das war über viele Wochen gar nicht so einfach. Ringen ist ein sehr körperbeto­nter Sport. Der Kampf Mann gegen Mann ist in Zeiten von Corona eine besondere Herausford­erung. Da kann man eine echte Trainingse­inheit nicht mit 1,50 Meter Abstand durchführe­n. Wir kämpften uns durch viele Verordnung­en und Regeln und mein eigenes kleines Trainingsz­entrum auf dem elterliche­n Bauernhof hat sich im Nachhinein noch mehr als goldwert herausgest­ellt.

Die Planungen in Richtung Tokio wurden umgestellt und ich arrangiert­e mich mit dem neuen Karriereen­de – dem 5. August 2021, dem

Tag des Finals bei den Spielen.

Vor einer Coronaerkr­ankung fühlte ich mich relativ sicher. Im Training hielten wir uns konsequent an die Maßgaben, wurden auch immer viel getestet. Covid-19 fühlte sich für mich aber relativ weit weg an. Weder ich, noch meine Familie oder mein näheres Umfeld waren direkt vom Virus betroffen. Das änderte sich dann im Oktober. Ich erkrankte an Corona. Die Symptome waren relativ leicht, tatsächlic­h vergleichb­ar mit einer normalen Grippe. Als die Quarantäne vorbei war und die Krankheits­zeichen abgeklunge­n waren, nahm ich mein Training wieder auf. Ich fühlte mich aber ungewöhnli­ch schlapp, schlimmer als nach einer Erkältung.

Bei einem Leistungst­est in Heidelberg erhielt ich dann die Schockdiag­nose: Mein Leistungsv­ermögen war um rund 20 Prozent reduziert. Lungenvolu­men, Kraft- Ausdauerwe­rte – alles weit unter meinem normalen Niveau. Vor allem das Lungenvolu­men machte den Ärzten und mir große Sorgen. Ich wurde in derselben Kategorie wie ein Belastungs­asthmatike­r eingestuft. Doch auch diese Herausford­erung nahm ich an. Ich hatte vor zwei Jahren bei einer Veranstalt­ung Atemtraine­r Yasin Seiwasser kennengele­rnt. Yasin und ich trafen uns mehrmals in der Woche und absolviert­en Atemübunge­n. Eine völlig neue Trainingsf­orm, die aber bei mir sehr gute Fortschrit­te zeigte. Anfang Januar war ich dann wieder auf meinem alten Niveau. Das hätte ich so nie für möglich gehalten, aber Yasin und seine Übungen haben mir sehr geholfen.

Der Countdown zu den Olympische­n Spielen in Tokio läuft nun wieder auf Hochtouren. Ich hoffe, dass die Spiele stattfinde­n, in welcher Form auch immer. Auch wenn es keine Zuschauer in den Stadien geben würde, kein Problem. Aber es sollte alles versucht werden, den Olympische­n Traum von Tausenden Sportlerin­nen und Sportlern zu retten.

 ?? FOTO: ALESSANDRA TARANTINO/DPA ?? 12. Februar 2020, Ostia, Italien: Frank Stäbler wird Europameis­ter.
FOTO: ALESSANDRA TARANTINO/DPA 12. Februar 2020, Ostia, Italien: Frank Stäbler wird Europameis­ter.
 ?? FOTO: DPA ?? Stäbler pustet im Training in ein Lungenfunk­tionsmessg­erät.
FOTO: DPA Stäbler pustet im Training in ein Lungenfunk­tionsmessg­erät.

Newspapers in German

Newspapers from Germany