Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der Weltenentdecker
Heinz Mack wird 90 Jahre alt. Der Kunstpalast zeigt Werke des Künstlers, der rohes Material in etwas Philosophisches verwandelt.
MOENCHENGLADBACH Wer daran glaubt, dass Kunst die Welt deuten kann, da Kunst groß ist, wird freudig das Weltumspannende in Heinz Macks Oeuvre entdecken. Ungezählte Bücher über ihn füllen die Regale. Am 8. März wird er 90 Jahre alt, und er hat zeitlebens bereitwillig Auskunft erteilt über seinen Antrieb, über die Liebe zum Material, über seine Maximen, Träume und Theorien.
Als der pianistisch ambitionierte Junge sich nach dem Abitur entschloss, Künstler zu werden, hatte er die Bilder des Krieges vor Augen, Granatsplitter und Bombenfeuer, Armut, Leid, Scham, Verlust und Not, den Nazi-Schrecken im Kopf. „Wo komme ich her, wo stehe ich, und wo will ich hin?“Das war für den im hessischen Lollar geborenen blonden Draufgänger die Frage. Zirka zehn Jahre später würde er eine solche Verortung im Wüstenraum anstellen. Macks „Sahara-Projekt“steht in der Kunstgeschichte einzig da und hat seinerzeit wenig Beachtung und vor allem zu wenig Hochachtung erhalten.
„Ich habe mein ganzes Leben versucht, etwas zu entdecken“, sagt der Mann mit dem virtuos gekämmten Haar. Sein Werk, das von Beginn der 50er-Jahre an entstand, kennzeichnet ihn als Konzeptkünstler, Bildhauer, Maler, Zeichner, Land-Art-Pionier. Und in gewisser Weise als einen Verzauberer, der das rohe Material in unerwartet sinnliche und sinnhafte Zustände überführt.
In der Fülle und Vielseitigkeit des Werks von Heinz Mack finden sich ungezählte Objekte, Bilder, Rotatoren, Mobiles, Keramiken, Bronzen, Stelen. Auch die architektonischen Arbeiten im öffentlichen Raum, Bühnenbilder und Interventionen auf Zeit in Wüste und Arktis künden von dem, was ein einzelner Mensch im Laufe von Jahrzehnten der Welt zur Seite stellt. Auskunft darüber erteilt die aktuelle Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast, die nach dem Willen von Kuratorin Heike van den Valentyn die frühen Werke, Macks Aufbruch in die Kunst, zeigt.
Fotografische Naturstudien aus der Jugend sind Wegweiser in ein Werk, das nach Struktur, Raster und Reihung sucht. „Wir waren arm“, so Mack im Rückblick. Material war wenig da und teuer, „Großes
Wiesenstück“, 1954, strebt nach oben wie das „Hohe Gras“, 1954/55. 1952 hat Mack Hutmodelle aus Holz vergoldet. In dem singulären Objekt „Farbstufen“empfindet er vieles voraus, was ihn später immer wieder bedrängt – die fein geordnete horizontale Struktur, die chromatische Farbfolge und das Metall.
Die Anti-Haltung, die Armut und Abstraktionssucht, die auf den Neuanfang folgte, die in der von Mack mitbegründeten Gruppe Zero ihren Ausdruck fanden, bildet die Ausstellung ab: Ein „Weißer Drahtkasten“erhält 1959 schon Licht und Motor, für sein „Weißes Relief“hat Mack 1954 Holzleisten auf Hartfaserplatte gebracht und dem „Taubenhaus“eine Statik aus Wellpappe verliehen. Solche Werke hätte man vielleicht nicht vermutet, während man die „Rotoren“aus großen Schauen kennt, auch die „dynamischen Strukturen“oder das „Lichtrelief“aus Aluminium. Eine „beinahe unheimliche Schönheit“bescheinigten Kunstkritiker zur Zero-Zeit (1958 bis 1966) Macks Werken und denen seiner engen Mitstreiter Otto Piene und Günther Uecker. Gemeinsam gelang den Künstlern der Aufbruch mit ersten Ausstellungen und Auslandstouren. Das Epizentrum war Düsseldorf, Sehnsuchtsorte waren Paris und New York.
Mack, der auch Philosophie und Kunst auf Lehramt studiert hatte, verabschiedete sich schnell aus dem Schuldienst. Früh hatte der Autonarr zum ersten Mal geheiratet, zwei Mädchen entstammen dieser Ehe. Heute ist er nach einer weiteren Ehe zum dritten Mal, mit Ute Mack, verheiratet, Tochter Valeria ordnet und organisiert mit der Mutter das Oeuvre. Hätte man Mack vor 60 Jahren getroffen, hätte man gestaunt über seine Verwegenheit. Von der Wüstentour wie von seinen Aktionen in der Arktis berichtet die Ausstellung, auch der Film „Tele-Mack“läuft in voller Länge.
„Rondo“heißt das neunteilige Mobile (1963/64), das Materie unter Licht zum Tanzen bringt. Dies war schon Vorbote des Wüstenprojekts wie die „Flügel eines Engels“und das Masterpiece „Kleiner Urwald“. Der Objektkasten überschritt bei einer Auktion 2018 erstmals die Millionengrenze für ein Mack-Werk. Für die Wüste ließ sich Mack einen Anzug aus Lurexgarn schneidern, der die Sonne reflektierte und den Künstler wie mit einer Silberhaut versiegelte. Die Filmcrew vom „Tele-Mack“nannte ihn deshalb den „Silber-Mack“und hielt ihn für einen Illusionisten, als er im heißen Sand eine Zehn-Meter-Fahne aus Aluminium hisste.
Heute ist Mack gelassener, nicht mehr der Heißsporn, der er war. Aus dem späten Werk gehört die Arbeit der goldenen Säulen erwähnt. „The Sky Over Nine Columns“wurde 2014 erstmals in Venedig gezeigt,
Millionen Menschen bewunderten die spektakulären Stelen. Das Ensemble könnte die Quintessenz seines Lebens darstellen, oder eine Metapher fürs Menschsein im grenzenlosen Raum. Die Skulptur wie das Leben – beide verweisen auf einen Raum über sich hinaus. Dabei ist Mack in der Gegenwart verhaftet, „jedes Jahr will gelebt werden“. Sein Geburtstag bedeutet ihm nichts. „Ich interessiere mich nur für den Tag. Und da ich noch sehr viele Ideen zu Ende bringen muss und meine Familie nicht alleine lassen kann, hoffe ich auf weitere Zeit, alles zu realisieren.“Ganz frei fühlt er sich, ist gesund und optimistisch. Am Wochenende spielt er Klavier, werktags arbeitet er bis zu sechs Stunden in seinem Mönchengladbacher Atelier. Lieber wäre er jetzt auf Ibiza, wo er das Atelier in seiner Finca unterhält.
Der Gang von Heinz Mack ist immer noch federnd – wie damals, als er wie ein Jünger des Lichts durch den Wüstenraum lief und seine Spuren hinterließ. Nicht auszuschließen, dass er eines fernen Tages in ein glitzerndes Ufo steigt und verschwindet.