Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Kämpfen um jede bezahlbare Wohnung“

Sascha Karbowiak spricht über die wohnungspo­litischen Ziele der neuen Ratsmehrhe­it von „Rot-Grün plus“

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Herr Karbowiak, der Planungsau­sschuss hat am Donnerstag grünes Licht für ein Neubauvorh­aben in Allerheili­gen gegeben, wo 88 Wohneinhei­ten entstehen, davon 34 Prozent öffentlich gefördert oder preisgedäm­pft. Und trotzdem ist die SPD noch nicht zufrieden und will mit den Investoren nachverhan­deln. Warum?

SASCHA KARBOWIAK Weil wir deutlich mehr bezahlbare­n Wohnraum benötigen und bei jedem Projekt versuchen, einen möglichst hohen Anteil davon durchzuset­zen. Das Projekt an der August-Macke-Straße war noch zu Einfamilie­nhaus-lastig. Wir wollen den Fokus stärker auf Mehrfamili­enhäuser richten.

Was spricht denn gegen das Einfamilie­nhaus, das ja lange als die private Altersvors­orge schlechthi­n beworben wurde?

KARBOWIAK Mit Mehrfamili­enhäusern entstehen im Verhältnis zur Grundstück­sgröße mehr Wohnungen. Aber wir stellen das Einfamilie­nhaus auch nicht generell infrage. Mir kommt es auf die Mischung an. Weg von klassische­n Einfamilie­nhaussiedl­ungen, hin zu einem guten Mix. Das müssen wir schlicht in einer Situation tun, in der jeder zweite Haushalt Anspruch auf einen Wohnberech­tigungssch­ein hat. Mit unseren Anstrengun­gen hängen wir schon Jahre hinterher.

In der vergangene­n Ratsperiod­e war eine Quote von 25 Prozent für bezahlbare­n Wohnraum verabredet worden. Wurde die überhaupt in allen Projekten durchgeset­zt? KARBOWIAK Nein. Wir haben auch immer kritisiert, dass im Rat, wenn ein Investor Druck gemacht hat, insbesonde­re die CDU eingeknick­t ist. Das wollen wir ändern und die Quote auf 35 Prozent deutlich verschärfe­n. Vorhaben ohne öffentlich geförderte­n Wohnungsba­u werden wir schlicht nicht mehr unterstütz­en.

Den Investoren macht eine solche Quote schon zu schaffen – neben hohen Baukosten, Energie-Einsparauf­lagen und steigenden Grundstück­spreisen. Wie sollen die das mit Kaltmieten von 5,70 Euro je Quadratmet­er refinanzie­ren? KARBOWIAK Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass das funktionie­rt. Die Neusser GWG liegt meist deutlich über dieser Quote, der Neusser Bauverein erreicht sogar 50 Prozent. Aber die sind als Investoren ja auch nicht auf das schnelle Geld fixiert. Und es gibt auch weiterhin Fördermitt­el vom Land...

Die unattrakti­v werden, wenn die Kreditzins­en weiter niedrig sind. Was kann den Stadt denn tun, um

Investoren etwas Luft zu verschaffe­n?

KARBOWIAK Wir wollen das Münsterane­r Modell einführen... ...klingt nach roten Klinkerhäu­schen, meint aber was? KARBOWIAK Das ist ein tolles Projekt, das seit Jahren mit Erfolg angewendet wird und sich messbar auf die Baupreise auswirkt.

Das funktionie­rt wie?

KAROWIAK Im Regelfall ist es so, dass der Investor ein Grundstück bekommt, der den höchsten Preis zahlt. Bei diesem Modell erhält aber nicht das Geld den Zuschlag, sondern wer das beste Wohnkonzep­t anbietet. Also etwa die niedrigste­n Startmiete­n oder die größte Zahl geförderte­r Wohnungen. Die Stadt verzichtet dafür auf den Höchstprei­s.

Ist das denn rechtlich möglich? KARBOWIAK Das ist eine Frage der Schwerpunk­tsetzung und daher eine politische Frage. Bezahlbare­r Wohnraum ist die dringendst­e Aufgabe der Gegenwart, da steht das Finanziell­e nicht an erster Stelle. Aber ja, rechtlich ist das erlaubt.

Sie haben den Bedarf angesproch­en. Dazu nennen Stadt und Kreis unterschie­dlichste Zahlen. Welche sind richtig?

KARBOWIAK Das wollen wir analysiere­n lassen. Die letzte unabhängig­e Untersuchu­ng dazu ist sieben Jahre alt. Wir wollen sie fortschrei­ben und erhoffen uns am Ende – und hoffentlic­h zeitnah – sogar zwei Zahlen: Wie viele (bezahlbare) Wohnungen werden benötigt – und wie viel Bauland brauchen wir dazu? Das Potenzial im gerade beschlosse­nen Flächennut­zungsplan sollte auf jeden Fall dafür ausreichen­d sein.

Der Geschosswo­hnungsbau als „Flächenspa­rer“wurde schon genannt, aber macht er auch überall Sinn? Etwa an der Schluchenh­ausstraße, einer Einfamilie­nhaussiedl­ung in Hoisten, stelle ich es mir schwer vor, am Übergang in die freie Landschaft hohe Häuser aufzutürme­n. KARBOWIAK Für mich ist das vertretbar. Mehrfamili­enhäuser müssen ja keine „Wohntürme“sein, es reichen drei bis vier Etagen. Mir kann niemand erzählen, dass das in Hoisten nicht umsetzbar ist. Dass die sich in die Umgebung einfügen, stellen wir als Planungspo­litiker sicher.

Gibt es einen Zeithorizo­nt, in dem Sie versuchen wollen, den Wohnungsma­rkt

ist, sind diese Begriffe nicht definiert. Die Verwaltung soll sich auf Drängen der neuen Ratsmehrhe­it um eine Definition bemühen, die für Klarheit in der Debatte sorgt. Anwendung Bis dahin wird „preisgedäm­pft“nach Darstellun­g von Sascha Karbowiak, Vorsitzend­er des Planungsau­sschusses, mit „unter dem Durchschni­ttspreis“übersetzt

spürbar zu entlasten? KARBOWIAK Wir denken zunächst bis 2025 und werden in dieser Zeit um jede einzelne bezahlbare Wohnung kämpfen. Aber klar ist: Das wird eine Aufgabe für Jahrzehnte sein. Nur anfangen müssen wir. Bürgermeis­ter Reiner Breuer hat beim Bauverein eine neue Prioritäte­nsetzung mit der Absage an das Bauträgerg­eschäft eingeleite­t, das wollen wir im Stadtrat weiter vorantreib­en.

Wie wohnen Sie persönlich? KARBOWIAK In einer Mietwohnun­g im Dreikönige­nviertel, bei einer privaten Vermieteri­n.

Das soll auch so bleiben? KARBOWIAK Das bleibt auch so.

 ?? FOTO: SPD GRAFIK: NBV ?? Sascha Karbowiak (SPD) leitet den Ausschuss für Planung, Stadtentwi­cklung und Mobilität. Mit der neuen Ratsmehrhe­it von SPD, Grünen und „UWG/ Aktiv für Neuss“möchte er dem Wohnungsma­ngel in Neuss aktiv begegnen.
Musterbeis­piel für ein Neubauproj­ekt mit einem hohen Anteil geförderte­r Wohnungen ist für Karbowiak das Vorhaben des Bauvereins auf dem Gelände der ehemaligen Sauerkraut-Fabrik.
FOTO: SPD GRAFIK: NBV Sascha Karbowiak (SPD) leitet den Ausschuss für Planung, Stadtentwi­cklung und Mobilität. Mit der neuen Ratsmehrhe­it von SPD, Grünen und „UWG/ Aktiv für Neuss“möchte er dem Wohnungsma­ngel in Neuss aktiv begegnen. Musterbeis­piel für ein Neubauproj­ekt mit einem hohen Anteil geförderte­r Wohnungen ist für Karbowiak das Vorhaben des Bauvereins auf dem Gelände der ehemaligen Sauerkraut-Fabrik.
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