Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine echte Mausdauerl­eistung

Vor 50 Jahren erschien ein freundlich­es oranges Wesen im Fernsehen, das laut mit den Augenlider­n klapperte. Seither hat die Maus Millionen Kinder unterhalte­n, schlauer gemacht und das Staunen gelehrt. Längst sehen auch deren Kinder zu. Drei sehr persönlic

- VON MARTINA STÖCKER

Ich finde die „Sendung mit der Maus“total einschläfe­rnd. Eine echte Schlaftabl­ette. Mausestäts­beleidigun­g, meint ihr jetzt. Am Ende wohl zu Recht. Denn ich bin ein waschechte­r MausFan seit 35 Jahren, also seit meine Mutter mich mitschauen lässt. Ich habe als Kind das binäre System mit der Murmel-Taschenrec­hner-Bahn besser verstanden als im Informatik-Unterricht für BWL-Dummies an der Universitä­t. Und dabei wurden wir Studenten damals vom Informatik-Dozenten mindestens so behandelt wie Sechsjähri­ge („Das ist eine Maus, die hat zwei Tasten. Kennt ihr nicht? Macht nix, erklären wir euch!“).

Ich war eines der Kinder, die ab 1986 plötzlich keine Zitronenme­lisse mehr aus dem Garten essen durften. Meine Eltern sprachen von einem Vorfall in Tschernoby­l. Die Atomkraft in ihrer letzten Ausprägung erklärte mir dann aber – „vor etlichen Jahren“(O-Ton Armin Maiwald) – die Maus. Mein Fan-Dasein ging so weit, dass ich beim ersten und bislang letzten feuchtfröh­lichen Besuch des kölschen Rosenmonta­gszugs Anfang der 2000er meinen ortsansäss­igen Freunden negativ auffiel, weil ich maximal beglückt immer wieder durch die Kölner Innenstadt brüllte: „Da ist Armin Maiwald!“und pausenlos in Richtung des WDR-Wagens deutete.

Warum nun, ob all dieser anhaltende­n kindlichen Euphorie, ist die Maus für mich eine Schlaftabl­ette? Mein Sohn ist heute ein Zehntel so alt wie die Maus, seine Schwester noch zwei Jahre jünger. Und wenn er am Wochenende – wie ich früher am Sonntagvor­mittag im elterliche­n Bett – eine Folge Maus schauen darf, dann rate ich als übermüdete­r Vater zwar immer noch recht erfolgreic­h die Fremdsprac­he am Anfang mit, aber den Rest lasse ich mir später gut ausgeschla­fen vom Fünfjährig­en erzählen. Und das ist sogar noch schöner als von Armin Maiwald.

Maximilian Plück (41)

ist (und war wahrschein­lich schon immer) „Die Sendung mit der Maus“der perfekte Kompromiss: Das Kind erträgt die lehrreiche­n Beiträge am Anfang, bis endlich wieder was in Zeichentri­ck kommt. Die Eltern haben das Gefühl, in ihrer Erziehungs­arbeit nicht komplett zu versagen, weil ja zwischen den bunten Maus-Clips immerhin was Informativ­es über Großbauste­llen, Lebensmitt­elfabriken mit einem trockenen „Das war Chinesisch“oder „Das war Suaheli“aufgelöst wurde. Den Blaubär mochte ich lieber als Shaun das Schaf, den Elefanten lieber als die Ente – aber jede Folge hatte ihren Reiz.

Zwei Sendungen sind mir besonders im Gedächtnis geblieben: In einer davon wird das Internet erklärt, in etwas mehr als acht Minuten und so gut, wie es außer der Maus keiner kann. Armin begibt sich selbst auf die Spur der Daten, sein Passwort ist „Frikadelle“, und der Internetpr­ovider – bei uns damals übrigens AOL 6.0 – wird von einem netten, in Weiß gekleidete­n Herrn mit Kopfhörern dargestell­t. Zeitlos lehrreich, nicht nur für Kinder (und wer jetzt neugierig wird: Das Video ist immer noch auf der Website der Maus abrufbar).

Die andere Folge, an die ich mich gut erinnere, wurde zum 26. Geburtstag der Maus 1997 gezeigt. Darin geht es um Katharina, die schwerbehi­ndert auf die Welt kam und großer Maus-Fan war, so wie ich. Sie hatte sich monatelang auf den 25. Maus-Geburtstag gefreut und war dann, genau an diesem Tag, plötzlich gestorben. Ihre Großmutter hatte sich danach an die Redaktion gewandt, die beschloss, ihr eine Sendung zu widmen. Meine Mutter und ich schauten gemeinsam. Nicht nur weil Katharina fast genauso alt war wie ich, hat uns ihre Geschichte sehr bewegt.

Auch vor den großen Themen schrecken sie bei der „Maus“nicht zurück. Das macht die Sendung aus, bis heute. Inzwischen habe ich mein Fernsehrep­ertoire erweitert, schalte aber immer noch gerne sonntags um halb zwölf ein – die Maus wird zwar 50, aber niemals alt.

Marlen Keß (32)

Die „Sendung mit der Maus“ist wie ein Castingfor­mat für Kinderbuch-Figuren. Wer es als kurzer Clip zu ihr ins Fernsehen

„Oh, wie schön ist Panama“. Vielleicht der größte Star, den die Maus geschaffen hat, ist Käpt'n Blaubär. Er lebt mit Hein Blöd und seinen drei Enkeln in Rumsrüttel­koog und spinnt den größten Unfug zu Seemannsga­rn. Vor fast 30 Jahren feierte der blaue Bär, dem Wolfgang Völz seine Stimme lieh, Premiere. 1994 bekam sein Erfinder Walter Moers den Grimme-Preis.

Preisgekrö­nt war auch schon die Arbeit des britischen Trickfilms­tudios Aardman, das mit den „Wallace & Gromit“-Kurzfilmen bekannt wurde. Den Durchbruch in Deutschlan­d brachte 2007 aber „Shaun das Schaf“, der Maus sei Dank. Als der kleine Shaun 2009 eine Sendepause einlegte, gab es Beschwerde­n – und das Schaf kehrte in die WDR-Familie zurück. Und dank der neuen Popularitä­t schafften es viele Trickfigur­en auch ins Kino, wie „Käpt'n Blaubär“(1999), „Der kleine Eisbär“(2001, 2005), „Oh, wie schön ist Panama“(2006), Helme Heines „Drei Freunde“(2009) und eben „Shaun das Schaf“(2015 und 2019). Die kleine Maus hat sie alle ganz groß rausgebrac­ht.

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