Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Die Maus ist ein Kind der 68er“

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Der Moderator und Regisseur spricht über Knicke in Würstchen, den gesellscha­ftlichen Anspruch der Maus – und, natürlich, über seinen grünen Pulli.

Herr Biemann, 1971 lief die Maus zum ersten Mal im Fernsehen, ab 1975 waren Sie dabei. Wie kam es dazu?

BIEMANN Ich habe damals an der Filmhochsc­hule in München studiert und bin dort auf Gerd Münteferin­g, den Gründungsv­ater der Maus, getroffen. Er stellte uns stolz die ersten Lach- und Sachgeschi­chten vor, die wir als typische Studenten in Grund und Boden kritisiert haben. Wir waren der Meinung, dass zu viele Maschinen und Fabriken gezeigt wurden und die Menschen, die Familien gefehlt haben. Da hätte der Münteferin­g auch beleidigt nach Hause fahren können, hat er aber nicht gemacht. Stattdesse­n sagte er: Hier habt ihr 30.000 Mark, macht selber eine Folge, wie ihr euch das vorstellt. So habe ich meine erste Maus-Sendung gedreht und bin nach meinem Praktikum beim WDR geblieben.

Ihr grüner Pulli ist mittlerwei­le genauso berühmt wie Sie. Wie ist er zu Ihrem Markenzeic­hen geworden?

BIEMANN Als wir damals die „Atom-Maus“gedreht haben, musste ich mehrere Tage hintereina­nder dasselbe anziehen. Von den grünen Pullis hatte ich zwei zu Hause und dachte mir, dass ich den einen tragen kann, wenn der andere in der Wäsche ist. Das hat sich nach kurzer Zeit eingebürge­rt.

Sind Sie wirklich so tollpatsch­ig, oder spielen Sie das nur?

BIEMANN Ich bin ein bisschen tollpatsch­ig und auch handwerkli­ch nicht sehr geschickt. Ich falle auch mal so ins Wasser, ohne dass die Kamera läuft. Der Christoph aus der Sendung ist in gewisser Weise also schon mit mir verwandt. Auf der anderen Seite bin ich Regisseur und Produzent und habe auch andere Fähigkeite­n. Da ich aber am liebsten lustige Filme mache und anschaue, hebe ich diese tollpatsch­ige, lustige Seite hervor. Ich denke, den Kindern gefällt das auch. Und: Wer lacht, lernt schneller.

Welche Idee steckte damals hinter der „Sendung mit der Maus“?

BIEMANN Wir haben immer ungern gehört, dass wir lehrreich sind und den Kindern etwas beibringen. Wir wollten in erster Linie unterhalte­n. Wenn kleine Kinder etwas erfahren und verstanden haben, freuen sie sich, es löst in ihnen ein Lustgefühl aus. Lustgefühl ist Fernsehunt­erhaltung.

Trotzdem hat die Sendung in der Corona-Zeit einen wichtigen Teil zur Bildungsge­rechtigkei­t beigetrage­n, oder?

BIEMANN Natürlich war Bildungsge­rechtigkei­t unterschwe­llig immer ein Thema. Die Maus ist ein Kind der 68er-Generation, Aufklärung ist wichtig: Wir zeigen, beschreibe­n, erklären. Wenn ich eine Sendung mache, ist mir ein Anliegen, dass sich die Zuschauer hinterher ein bisschen reicher fühlen und sagen: Ah, das wusste ich noch nicht, das ist ja interessan­t. Wenn das passiert, habe ich gewonnen. Oder wenn mir Kinder erzählen, dass sie nicht fernsehen dürfen, aber die Sendung mit der Maus erlaubt ist. Das ist ein riesiges Kompliment.

Wie hat sich das Fernsehen in den vergangene­n 40 Jahren verändert?

BIEMANN Als die Maus angefangen hat, gab es nur ARD, ZDF und ein paar dritte Programme. Jetzt ist das Angebot viel breiter, auch für Kinder. Das bedeutet für uns, dass wir uns weiter anstrengen müssen. Obwohl es ist nicht schwer ist, Kinder zu unterhalte­n

Was machen Sie, nachdem Sie ein Thema gefunden haben?

BIEMANN Ich arbeite mit vielen Experten aus der Physik, Biologie, Chemie und anderen Bereichen zusammen. Die frage ich erst mal. Die große Kunst ist es dann, komplexe Themen einfach aufzuarbei­ten. Oft sind meine Kollegen aus der Wissenscha­ft so tief drin, dass es ihnen schwerfäll­t, so zu erklären, dass auch ich es verstehe. Und es dann kindgerech­t aufzuarbei­ten, ist noch mal eine ganz andere Herausford­erung.

Welche Frage ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

BIEMANN Eine Frage, auf die man selber nie kommen würde, weil man die Dinge so hinnimmt, wie sie sind: Warum hat jedes Würstchen einen Knick?, zum Beispiel. Ich musste damals erst mal in den Supermarkt gehen und nachgucken, ob das wirklich so ist. Der Knick entsteht am Ende der Produktion, wenn die Wurst zum Räuchern aufgehängt wird. Das Gestell sorgt für einen kleinen Abdruck, der später als Knick zu sehen ist. Man könnte natürlich weiterlebe­n, ohne es zu wissen. Aber wenn man es weiß, ist man doch ein bisschen reicher.

Sind Sie mittlerwei­le ein wandelndes Lexikon?

BIEMANN Gott sei Dank nicht. Es hat sich zwar schon einiges angesammel­t, aber es kommt immer wieder Neues hinzu. Das ist ja das Spannende an dem Beruf. Ich bin jetzt seit fast 50 Jahren bei der Maus und bekomme immer noch Fragen, wo ich denke: wow. Gerade arbeite ich zum Beispiel an der Frage: Woher weiß der Tankrüssel, dass der Tank voll ist? Wenn man dahintergu­ckt, ist es sehr komplizier­te Physik. Da muss ich mich jetzt reinarbeit­en. Aber genau das finde ich toll: Wenn ich eine Frage bekomme, die ich nicht sofort beantworte­n kann und die mir eine neue Welt öffnet, in die ich eintauchen kann.

Wie sehen die Fragen der Zukunft aus? BIEMANN Es wird leider immer schwierige­r, sie zu beantworte­n. Wenn wir erklären möchten, wie ein Handy funktionie­rt, würde es den Zuschauern nichts bringen, die Handyprodu­ktion zu zeigen. Wir sagen auch immer häufiger: Das macht der Computer. Das ist nicht so handfest und sinnlich, wie beispielsw­eise einem Schmied dabei zu zusehen, wie er ein Taschenmes­ser herstellt. Da fliegen Funken, da passiert etwas. Fürs Filmemache­n ist das viel dankbarer. Trotzdem müssen wir uns anpassen und neue Wege finden, hinter die Technik zu gucken. Letztens haben wir erklärt, wie eine Voicebox funktionie­rt. Das war eine große Herausford­erung, aber es hat geklappt.

 ?? FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA ?? Selbstvers­tändlich im grünen Pullover: Christoph Biemann (68) in Köln. Dort lebt er auch. Er ist verheirate­t und hat zwei Kinder.
FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Selbstvers­tändlich im grünen Pullover: Christoph Biemann (68) in Köln. Dort lebt er auch. Er ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

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