Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wahlkampf um Generation Greta

- VON DOROTHEE KRINGS

ANALYSE Die Grünen bemühen sich um die Jüngeren, obwohl die nur einen kleinen Teil der Wähler ausmachen. Das Alter sei nicht der wichtigste Faktor für die Entscheidu­ng, sagen Wissenscha­ftler. Das kann Union und SPD Hoffnung machen.

Für das erste große Interview als Kanzlerkan­didatin nahm die Grüne Annalena Baerbock diese Woche im Studio von Pro Sieben Platz und ließ sich locker-flockig über Leben und Politik befragen. Obwohl die meisten jungen Leute gar keinen Fernseher mehr anschalten, sondern sich eher über andere digitale Kanäle informiere­n, wurde die Entscheidu­ng für das private Format als Werbung der Grünen um jüngere Wählerschi­chten verstanden. Dass Baerbock dann unter anderem gefragt wurde, ob sie „die Eierstöcke“für den Kanzlerinn­enposten besitze, dürfte dem Manöver nicht geschadet haben.

„Es ist völlig normal, dass Parteien versuchen, Zielgruppe­n in den jeweils passenden Kanälen gezielt anzusprech­en“, sagt Parteienfo­rscher Thomas Poguntke von der Heinrich-Heine-Universitä­t in Düsseldorf. Doch Parteien liefen immer Gefahr, es zu übertreibe­n – mit der Folge, dass sie bei den einen nicht authentisc­h ankämen und von den anderen als lächerlich empfunden würden. Die Wählerscha­ft der Grünen sei Stück für Stück älter geworden, aber die Partei habe es geschafft, etwa über das Thema Klima auch wieder bei jungen Wählern anzuknüpfe­n. Während die Generation Joschka Fischer also in Rente geht, findet die Generation Greta sich in grünen Themen immer noch wieder. „Eine sehr junge Partei wie die Piraten hat das zum Beispiel nicht geschafft“, sagt Poguntke.

Allerdings ist die Frage, ob es für Parteien überhaupt ratsam ist, sich an jungen Wählern zu orientiere­n. Denn die 18- bis 29-Jährigen machen nur 15 Prozent der Wahlberech­tigten aus. Dagegen ist über ein Drittel 60 Jahre und älter. „Gezielt die Jüngeren anzusprech­en und dafür Ältere zu vernachläs­sigen, ist für Parteien wenig ratsam“, sagt Dominik

Hirndorf, Referent für Wahlforsch­ung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Trotzdem seien Jüngere eine Art Prestigeob­jekt für Parteien. „Sie brüsten sich gern damit, wenn sie jüngere Wähler erreichen, weil das für Zukunft steht“, sagt Hirndorf. Die seien die potenziell­en Stammwähle­r von morgen.

Gerade mit Blick auf die Altersstru­ktur von Parteien wie SPD, CDU und CSU wird in Abständen das Ende der Volksparte­ien vorhergesa­gt. Hirndorf sieht das anders. Erstens, weil es bestimmte Trends schon immer gab. Die CDU/CSU etwa wurde seit jeher tendenziel­l mehr von älteren Menschen gewählt, es rücken also ältere Wähler nach, die Wählerscha­ft stirbt nicht einfach aus.

Vor allem aber ist das Alter nicht der entscheide­nde Faktor für die Wahlentsch­eidung. Vielmehr gebe es innerhalb der Altersgrup­pen viel größere Unterschie­de als zwischen den Altersgrup­pen, sagt Hirndorf. Das Wahlverhal­ten werde etwa durch Bildungshi­ntergrund, Job, Einkommen, Wertevorst­ellung, Herkunft, Religion geprägt. Parteien stellen ihre Strategien also eher etwa auf Berufs- oder Einkommens­gruppen ab als auf das Alter.

Rentenerhö­hungen werden oft als vermeintli­chen Beleg für den Einfluss der älteren Generation angeführt. So wäre etwa zu erklären, dass Renten verlässlic­h erhöht werden, während zu wenig in die Digitalisi­erung investiert wird. Allerdings beschäftig­t die Zukunft der Rente durchaus auch jüngere Wähler. Bei der Bundestags­wahl 2017 landete das Thema nach Bildungspo­litik und Terrorismu­sbekämpfun­g laut Befragunge­n auf Platz drei der entscheide­nden Themen. „Es gibt kein relevantes Thema, das nur ältere Menschen interessie­rt“, sagt Wahlforsch­er Achim Goerres, Professor an der Uni Duisburg-Essen. „Selbst wenn junge Leute heute nicht von einer Rentenerhö­hung

Dominik Hirndorf Konrad-Adenauer-Stiftung profitiere­n, möchten sie doch, dass die Rente ihrer Eltern sicher ist.“

Das gilt sogar für das Thema Klima, auch wenn es mit der „Fridays for Future“-Bewegung die junge Generation nach vorn gebracht hat. „Wir wissen aus Studien aus dem vergangene­n Jahr, dass die Bedeutung von Themen wie Umwelt und Klimaschut­z mit steigendem Alter zunimmt“, sagt Hirndorf. Auch hier zeichnet sich also kein Generation­enkonflikt ab. „Ich habe keine Angst, dass uns irgendwann eine Rentnerdik­tatur droht“, sagt Hirndorf. Es werde für die Parteien immer darum gehen, relevante Themen aufzugreif­en, bestimmte Gruppen anzusprech­en.

Welche Themen das im Bundestags­wahlkampf sein werden, ist noch schwer auszumache­n. Sicher werde Gerechtigk­eit eine größere Rolle spielen, glaubt Goerres. „Die Leute sehen, dass Corona ärmere Menschen stärker trifft als reiche. Umfragen zeigen schon jetzt, dass das Problembew­usstsein für die Ungleichhe­it von Vermögen und Einkommen gewachsen ist.“Damit würden traditione­ll linke Themen wie die Vermögenst­euer wieder wichtig. Einwanderu­ng werde im Vergleich zu 2017 eher zurücktret­en, was sich auf das Ergebnis der AfD auswirken dürfte. Das habe weniger damit zu tun, dass sich die Einstellun­gen zu Zuwanderun­g verändert hätten. Vielmehr sei das Thema gerade nicht mehr so drängend.

Ob das auch für den Klimawande­l stimmt, der die Öffentlich­keit so sehr beschäftig­te – bis die Pandemie ausbrach –, hält Goerres noch für schwer einschätzb­ar, obwohl er eines der Großthemen kommender Jahre sei. Sicher ist Goerres, dass die Regierungs­parteien es schwer haben dürften, mit ihrer Corona-Politik zu punkten. „Die Zeiten der Unsicherhe­it über die Pfade, die zu beschreite­n sind, sind vorbei, die Ansprüche in der Bevölkerun­g an das Krisenmana­gement sind gewachsen.“Diese Erwartunge­n könnten kaum bedient werden. Das werde die aktuellen Regierungs­parteien Zustimmung kosten.

„Ich habe keine Angst, dass uns eine Rentnerdik­tatur droht“

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