Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die mächtigste Frau Frankreichs
„Madame Claude“erzählt auf Netflix die wahre Geschichte einer Bordellbesitzerin.
Alain Delon hat sie einmal als „mächtigste und einflussreichste Frau in ganz Frankreich“bezeichnet: Fernande Grudet (1923–2015), die unter dem Pseudonym Madame Claude im Paris der 60er- und 70er-Jahre eine Escort-Agentur betrieb. Bis zu 200 Prostituierte haben für sie gearbeitet. Neben Delon sollen Marlon Brando, John F. Kennedy, der Schah von Persien, zahlreiche internationale Industrielle und das halbe französische Kabinett zum Kundenkreis gehört haben.
Bereits 1977 hatte Just Jaeckin („Emanuelle“) das Leben und Wirken der Bordellbesitzerin als Erotikfilm verewigt. Nun hat sich die französische Regisseurin Sylvie Verheyde („Confession“) des Stoffes angenommen, und ihre „Madame Claude“wird via Netflix zugänglich gemacht.
Karole Rocher spielt die Titelfigur als beherrschte Frau, die die Fäden in ihrem florierenden Unternehmen fest in der Hand behält. 30 Prozent Vermittlungsgebühr streicht die Chefin ein. An Bewerberinnen mangelt es dennoch nicht. Wer hier als Sexarbeiterin anheuert, muss nicht nur, was das Aussehen angeht, hohen Ansprüchen genügen. Die jungen Frauen werden von Madame Claude von ihren Konversationsfähigkeiten bis hin zur Intimpflege geprüft und ausgebildet. Schließlich sollen sie auch beim Dinner mit Königen, Prinzen, Ministern und Botschaftern eine gute Figur machen.
Ihre Geschäfte sichert sie ab: Zahlungen an die Pariser Unterwelt wie den Clubbesitzer Jo (Roschdy Zem) garantieren den Schutz des kriminellen Milieus. Schmiergelder und Informationen an die Polizei schützen sie vor dem langen Arm des Gesetzes. Ihre Macht ist das Wissen über die sexuellen Eskapaden der Mächtigen. Aber gerade auf der Seite der Politik erhöht sich der Druck. „Von nun an dienen sie Frankreich“, sagt der Geheimdienstler und nutzt fortan ihre Prostituierten zur Informationsbeschaffung.
„Nach wahren Ereignissen in einem imaginären Leben“heißt es im Vorspann. Bei einer solch fiktional-faktischen Selbstverortung hätte man sich mehr dramatischen Drive gewünscht. „Madame Claude“erkennt die widersprüchlichen Facetten seiner Titelfigur, ohne sie jedoch gewinnbringend vertiefen zu können. Dafür fehlt dem Film vor allem der Blick auf die andere Seite – auf die der Prostituierten, die mit ihrer Arbeit das Fundament für Reichtum und Macht der Bordellbetreiberin leben.
Info „Madame Claude“läuft bei Netflix.